Zwischen Raffgesellschaft und Solidargemeinschaft

Ausgabe: 1993 | 3

"Wenn man Reichtum und Armut nicht dämonisieren, sie nicht überhöhen oder herunterspielen will, muß man sie veröffentlichen '', so die Überzeugung Ernst-U. Husters, Professor für Politikwissenschaft in Bochum. Mit der vorliegenden Studie ist ihm dies sehr anschaulich gelungen. Es werden konkrete Zahlen über Armut und Reichtum in der Bundesrepublik Deutschland benannt, aber auch deren soziale und politische Folgen. Huster spricht von einer "sozialen Polarisierung" der bundesrepublikanischen Gesellschaft: 2 Mio. Arbeitslosen und 4,2 Mio. Sozialhilfeempfängern stehen knapp eine Million "Reiche" gegenüber - wobei als "reich" bezeichnet wird, wer das Durchschnittshaushaltseinkommen (in der BRD derzeit ca. 4000 DM) um mehr als das Doppelte übersteigt, analog der Festlegung der Armutsgrenze, die mit 50% des Durchschnittseinkommens angesetzt wird. Markant ist die zunehmende Marginalisierung junger Erwachsener, 370000 Jugendliche gehen nach ihrem Schulabschluß direkt zur Sozialhilfe, ohne je in einem Arbeitsverhältnis gestanden zu sein, wodurch die "Platzierungs- und Sozialisationsfunktion", die der Erwerbsarbeit zukommt, weg fällt. Die Folgen sind bekannt: Resignation, Zunahme der Gewaltbereitschaft, Abdriften in den Rechtsradikalismus. Im zweiten Teil des Buches bemüht sich Huster um eine historisch und sozial-ethisch fundierte Rechtfertigung der (Um)-Verteilungsfunktion des Staates (der "Belastung der Leistungsstarken ") im Sinne der Wahrung des gesellschaftlichen Friedens und fordert dabei auch die Kirchen auf, sich in die Diskussion einzubringen. Neben Kritik an der Wirtschafts- und Steuerpolitik des letzten Jahrzehnts, die Armut wie Reichtum gefördert habe, sowie an der Art der Wiedervereinigung ("Wild West in deutsch Ost") bringt der Autor auch zukunftsweisende Vorschläge. Er plädiert für die Relativierung des "Leistungs- und Konkurrenzethos", dem immer mehr Menschen zum Opfer fallen, zugunsten einer .bedarfsorientierten Mindestsicherung" für alle ("offener Zugang der Bedürftigen zu den vorhandenen Ressourcen und verantwortlicher Umgang mit ihnen"), er will "lieber Arbeit bezahlen als Arbeitslosigkeit“ und einen offenen Diskurs über Armut und Reichtum, also darüber, "was als gerecht und als ungerecht bewertet werden soll und kann", was auch eine permanente "Offenlegung der Tatbestände der Verteilung" erfordere. Beides erfüllt Huster hier in vortrefflicher Weise. H. H.

Huster, Ernst-Ulrich: Neuer Reichtum  und alte Armut. Zwischen Raffgesellschaft und Solidargemeinschaft. Düsseldorf: Patmos, 1993. 160 S. (Erscheint im Oktober) DM 29,80 / sFr 25,50/ öS 233,-