Simon Schnetzer, Kilian Hampel, Klaus Hurrelmann

Trendstudie Jugend in Deutschland 2024

Online Special
Trendstudie Jugend in Deutschland 2024

Junge Generationen haben in allen Gesellschaften besondere Funktionen, wie beispielsweise deren Lebensfähigkeit und Weiterentwicklung zu gestalten. Wohin die Reise einer Gesellschaft gehen könnte, lässt sich also teilweise aus der Substanz und Befindlichkeit der Jugend ablesen. Hinzu kommt, dass junge Generationen eine andere Wahrnehmungsfähigkeit aufweisen, und weniger von festen Vorstellungen und Routinen geprägt sind. Daher ist ein Blick in die gelegentlichen Studien zur Jugend spannend. Und in einer aktuellen Trendstudie bestätigt sich nun einmal mehr die gesamtgesellschaftliche Lage sowie die dominierende Befindlichkeit: Pessimismus.

Die Studie wurde von dem Jugendforscher Simon Schnetzer herausgegeben und fachlich von Kilian Hampel und Klaus Hurrelmann begleitet. Sie basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung, die Anfang 2024 unter mehr als 2.000 befragten 14- bis 29-Jährigen in Deutschland durchgeführt wurde. Sowohl die persönliche als auch die gesellschaftliche Stimmungslage wurden mit jeweils fünf Indikatoren abgefragt. Bemerkenswert ist, dass durchweg das Gefühl allgemeiner Überforderung zugenommen hat. Die Stimmung scheint zu kippen, wie sie Angaben zu psychischen Belastungen wie Stress, Erschöpfung und Hilflosigkeit im Vergleich zu früheren Studien vermuten lassen. So geben 11 Prozent der Befragten sogar an, wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.

Vor allem sind es Sorgen um die Sicherung des Wohlstands, die wiederum zu hoher politischer Unzufriedenheit und damit zu einem deutlichen Rechtsruck führen. So geht die Mehrheit der Befragten davon aus, dass sich die ökonomische Situation in Deutschland verschlechtern wird. Schnetzer resümiert, dass sich eine tiefsitzende mentale Verunsicherung mit dem Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen offenbart. Die Aussicht auf ein gutes Leben würde schwinden. Und damit verbunden ergebe sich für alle Akteure in der Gesellschaft die große Frage, wie  junge Menschen für eine positive Vision im Land begeistert und an Veränderungsprozessen beteiligt werden können. Eine zentrale Aussage lautet daher: „Die jungen Leute fühlen sich durch wirtschaftliche und politische Krisen stark verunsichert. Sie haben den Eindruck, in der Vergangenheit nicht gehört worden und ohne Einfluss auf wichtige Entscheidungen gewesen zu sein. Sie hatten nach ihrem eigenen Eindruck keinen Einfluss auf die Gestaltung der von Krisen geprägten Lebensbedingungen, die sie heute vorfinden. Deshalb ist es für sie nicht selbstverständlich, hierfür die Verantwortung zu übernehmen“ (S. 69).

Und dennoch sind junge Menschen in Deutschland offenbar grundsätzlich bereit, Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft zu übernehmen, denn etwa 45 Prozent stimmen ausdrücklich der Aussage zu, dass sie die Verantwortung für den Wohlstand in Deutschland tragen werden. Dies wollen sie aber mit stärkerer Berücksichtigung ihrer eigenen Vorstellungen tun, wie sie es deutlich für den beruflichen Bereich artikulieren. Viele Arbeitsweisen der älteren Generationen werden in Frage gestellt. Und in vielen Bereichen erwarten sie eine Reform von Bildung, Politik und Wirtschaft, welche sie selbst nicht alleine erbringen können. Hierzu gehören lebensrelevante Bildung, wirkungsvolle Beteiligung, umfassende Digitalisierung, Schutz der Umwelt und die Perspektive auf ein gutes Leben. Hier werden die noch immer nicht bewältigten „Wendethemen“ deutlich angesprochen und die Versäumnisse der Politik moniert.

Dies zeigt sich auch in ihrer Einstellung in Bezug auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Fast der Hälfte der Befragten bereitet der Klimawandel Sorgen, und sie sind der Meinung, dass in Deutschland nicht genug zum Schutz der Umwelt getan wird (45%). Allerdings sind zugleich diejenigen in der Minderheit, die bereit sind, für Nachhaltigkeit auch Verzicht zu üben. Die junge Generation erwartet von Politik und Wirtschaft mehr kollektive Ansätze und strukturelle Veränderungen, weil sie hier den wirkungsvollsten Hebel zur Veränderung sieht.

Deutlich sind auch die großen finanziellen Sorgen aufgrund von Inflation (65%), teurem Wohnraum (54%) und Altersarmut (48%), aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49%) oder die Zunahme von Flüchtlingsströmen (41%). Auch diese Aspekte führen zu hoher Unzufriedenheit der jungen Generation mit ihrer Lebenssituation sowie den politischen Verhältnissen. Damit verbunden haben sich rechtspopulistische Einstellungen in der jungen Generation im Vergleich zu früheren Studien deutlich verstärkt. „Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen. Das schlägt sich in den politischen Präferenzen der 14- bis 29-Jährigen nieder. Während die Parteien der Ampel-Regierung in der Gunst immer weiter absinken, hat die AfD besonders großen Zulauf, resümiert Klaus Hurrelmann.

Die Trendstudie bietet Eindrücke und Einschätzungen zu einem ganzen Spektrum an Themen. Es scheint, „das Glas“ ist sowohl halb voll als auch halb leer! Für einen weitergehenden fundierten Blick in die künftigen Verhaltensweisen der heutigen Jugend könnte z. B. noch der Ansatz der Psychohistorievon Lloyd deMause hinzugezogen werden, weil frühkindliche Prägungen nachweisbar starken Einfluss auf spätere Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster haben.