Freiheit von Armut: ein Modell der Grünen für Grundsicherung

Ausgabe: 1988 | 3

1985 gab es in der Bundesrepublik 2,8 Millionen Sozialhilfeempfänger/innen, was einer Steigerung von 88 Prozent gegenüber dem Jahr 1970 entspricht. Wie sehr die dem sozialen Sicherungssystem zugrunde gelegte Annahme eines dauerhaft vollbeschäftigten, verheirateten Alleinverdieners von der Realität überholt ist, zeigt u. a. auch, daß 90% aller Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Das von den GRÜNEN vorgelegte Konzept einer bedarfsorientierten Grundsicherung in allen Lebenslagen bricht mit dem biblischen Postulat, nach welchem derjenige, der nicht arbeitet, auch nicht essen solle, und markiert den (politisch steinigen) Weg hin zu einem Grundrecht auf Existenzsicherung. Die Grundzüge des Modells, nach welchem Alleinstehenden ein Betrag von DM 1000,- und Ehepaaren DM 1750,- monatlich ausbezahlt werden soll, falls sie keine entsprechenden Einkünfte haben, werden in diesem Band ausführlich diskutiert. Dabei werden hinsichtlich verschiedener Problembereiche (Kreis der Anspruchsberechtigten, Niveaufrage, Solidaritätsregelung, Arbeitspflicht und Verfügbarkeit, Einkommensanrechnung, Freibeträge, Altersversorgung usw.) auch Meinungsverschiedenheiten klar markiert.

Die gebotene Offenheit der Diskussion, in der sich nicht nur Sozialwissenschaftler, sondern von den Härten der sozialpolitischen Versorgungspraxis Betroffene zu Wort melden, ist beispielgebend für die fundierte Auseinandersetzung mit einem brisanten gesellschaftspolitischen Thema, das von den "traditionellen" politischen Interessengruppen viel zurückhaltender behandelt wird. Die von Gegnern immer wieder ins Treffen geführten Kosten belaufen sich auf etwa 36-40 Mrd. DM und könnten v. a. durch einen Umbau des Familienlastenausgleichs, die Rücknahme der jüngsten Steuerentlastungen und die Besteuerung von Zinseinkommen aufgebracht werden.

Wie Martin Jänicke in seinem Beitrag nachweist, sind vor allem die (dem Steuerzahler aufgebürdeten) sozialen und ökologischen Folgekosten der industriellen Produktion eine wesentliche Ursache der Armut. Nur die Rückverlagerung dieser Kosten hin zu den Verursachern kann s. E. Abhilfe schaffen. Nicht erst an dieser Stelle wird deutlich, daß der Kampf gegen die Armut keinesfalls durch eine Steigerung des Wirtschaftswachstums gewonnen werden kann.

Freiheit von Armut. Das GRÜNE Grundsicherungsmodell in der Diskussion. Hrsg. im Auftrag d. Arbeitskreises Sozialpolitik d. Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN v. Michael Opielka u. Margherita Zander. Essen: Klartext, 1988. DM 16,80/ sfr 14,20/ öS 131,-