Tatjana Tönsmeyer

Unter deutscher Besetzung

Ausgabe: 2025 | 2
Unter deutscher Besetzung

Tatjana Tönsmeyers „Unter deutscher Besatzung“ beleuchtet die Lebensrealitäten der Menschen in den besetzten Gebieten und ihre Interaktionen mit den Besatzern. Ihr länderübergreifender Vergleich – von Narvik bis zur Peloponnes, von der Atlantikküste bis zum Kaukasus – zeigt, wie Überleben, Anpassung und Widerstand unter einer historischen Ausnahmesituation verhandelt wurden. Klug und feinfühlig verbindet die Autorin in ihrer mikrohistorischen Übersichtsarbeit geschichtliche Fakten mit Augenzeugenberichten aus Tagebüchern und lokalen Archiven.

Besonders gewinnt Tönsmeyers Werk durch die intensive Auseinandersetzung mit der weiblichen Perspektive. Während viele Männer an der Front waren, übernahmen Frauen die Rolle der Versorgerinnen. Manche Frauen lehnten die besser bezahlten Stellen bei „den Deutschen“ ab und leisteten passiven Widerstand. Andere waren aus unterschiedlichen Gründen zu mehr Nähe mit den Besatzern veranlasst. Schonungslos beschreibt die Forscherin auch die Folgen solcher Beziehungen. Von „Moeffenhoer“ bis „Femmes à Boche“: In jedem Land entstanden eigene Begriffe für Frauen, die mehr mit „den Deutschen“ zu tun hatten. Sympathischerweise schlägt sich die Historikerin hier auf keine Seite, es bleibt bei dem empathischen Versuch, das komplexe Zusammenspiel von Überleben, Macht und Moral zu erfassen.

Die Besatzung brachte für alle Entbehrungen. Einige milderten ihre Not durch Privilegien oder geschicktes Handeln, während jüdische Menschen unausweichlich litten. Besonders bedrückend ist die Darstellung, wie die Besatzer die Kollaboration lokaler Behörden in Ländern wie den Niederlanden und Frankreich ausnutzten. Die Autorin greift hier nochmal in zurückhaltender Wortwahl und an verschiedensten Quellen entlanghangelnd auf, dass die Shoah nicht nur die Geschichte jüdischer Opfer und deutscher Täter ist, sondern auch eine Dreieckskonstellation: Auch nichtjüdische Angehörige der besetzten Gesellschaften trugen durch Wegsehen oder aktive Beteiligung zum „communal genocide“ bei.

Nichts ist schwarz-weiß: Am Ende ihres Werkes hinterlässt Tatjana Tönsmeyer den Leser:innen ein differenziertes Bild der Besatzungszeit, das sich nicht nur auf Widerstand oder Kollaboration fokussiert, sondern die Grauzonen menschlichen Handelns in den verschiedenen Gesellschaften unter der Besatzung auslotet.