... und die Wende in der Ernährungswissenschaft. Dass Wissenschaft und Praxis einander besonders befruchten und zu neuen Ergebnissen führen können, beweist das Forschungsprojekt „nascend“ an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Geleitet wurde es von Irene Antoni-Komar, Cordula Krupp, Reinhard Pfriem und Niko Paech, den Herausgebern der gleichnamigen Publikation. In Zusammenarbeit mit Praxispartnerinnen, Genossenschaften, Initiativen der Solidarischen Landwirtschaft oder neuen Finanzierungsmodellen, wurden Möglichkeiten untersucht, wie Nischenunternehmen in der Ernährungswirtschaft stabilisiert werden und an Breite gewinnen können. Ausgehend von einem Diffusionsmodell, das von „pioneers“ über „early adopters“ hin zum „take off“ für neue Mehrheiten („late majority“) verläuft, sollte herausgefunden werden, wie der Verdrängung von Kleinunternehmen durch Großbetriebe entgegengewirkt – also eine „alterative Diffusionslogik“ (S. 366) – erreicht werden könne. Möglich sei dies durch den Zusammenschluss zu Verbänden beispielsweise von Erzeuger-Verbraucher-Initiativen, Gemeinschaftsgärten oder Foodcoops; durch Franchise-Modelle wie beim Projekt „Mietacker“ oder durch Erfahrungsweitergabe und Erprobungsmöglichkeiten für Neu-Interessierte.
Deutlich wurde auch, dass alternative Versorgungssysteme mehr sind als Wege der Nahrungsbeschaffung. So weisen Selbsternte- und Gemeinschaftsgärten beispielsweise auf die räumliche Nähe, Selbstwirksamkeitserfahrungen sowie die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft hin (S. 371). Veranstaltungen wie Hoffeste oder Märkte dienen der Sichtbarmachung der Projekte, Flexibilität etwa in der Ausgestaltung von Foodcoops sollen den Bedürfnissen der Gruppe angepasst sein. Deutlich machen die untersuchten Projekte aber auch, dass neue Wege der Ernährungssouveränität ein verändertes Bewusstsein sowie andere Lebensstile erfordern, etwa im Umgang mit Zeit, die in solche Projekte investiert werden will.
Der Band informiert über die Forschungsergebnisse sowie die Typologie transformativer Unternehmen der Ernährungswissenschaft hinaus auch über Aspekte einer generellen Ernährungswende, etwa eine geänderte Agrarpolitik der EU, globale Perspektiven von Ernährungssouveränität oder Ernährungsdemokratie durch sogenannte Ernährungsräte.