Sianne Ngai

Theory of the Gimmick

Ausgabe: 2021 | 4
Theory of the Gimmick

Was ist ein Gimmick? Sianne Ngai meint, dass es sich dabei um eine ästhetische Kategorie handelt, die von den Ängsten des Kapitalismus durchtränkt ist. Vielleicht erklärt man den Begriff einem deutschsprachigen Publikum am besten anhand der Kinderzeitschrift Yps mit Gimmick, in der „Gimmick“ für eine Beilage stand, beispielsweise ein kleines, kreatives Spielzeug. Da gab es etwa den geheimnisvollen Safe, kleiner als eine Handfläche, aus billigem schwarzen Plastik, ohne echtes Schloss. Aber mit einer schwarzen Folie innen, so dass man Notizen darunter verschwinden lassen konnte. Der von anderen Kindern problemlos geöffnete „Safe“ schien leer zu sein. Die Notiz war sicher. Ein einfaches Ding, billigst hegestellt, und doch wollte man das Heft mit der faszinierenden Beilage als Kind unbedingt haben. Der Safe war bald kaputt. Übrigens: Ngai kennt Yps und zitiert dessen „Geld-Zauber-Maschine“ (Yps mit Gimmick, Nr. 6). (S. 47) Das Gimmick zieht uns einerseits magisch an, andererseits stößt es uns als gebrechlich, unzulänglich ab.

Wenig Leistung, viel Aufmerksamkeit

Sianne Ngai ist Professorin für Englisch an der University of Chicago. Sie konzentriert sich auf Kulturtheorie und in diesem Feld auf ästhetische Urteile, die wir im Alltag aussprechen. In ihrem aktuellen Buch argumentiert sie, dass uns bei Gimmicks immer auffällt, dass sie eigentlich zu wenig leisten (da steckt nicht viel Arbeit drin) und dass sie zu sehr um unsere Aufmerksamkeit ringen. Auf Englisch: „Gimmicks are […] overrated devices that strike us as working too little (labor-saving tricks) but also as working too hard (strained efforts to get our attention).“ (S. 1) Was sind für Ngai Beispiele für Gimmicks: Eine einfache Melodie, die nicht mehr aus dem Ohr geht, ein alter Witz, der immer noch halbwegs funktioniert, ein kleiner Apparat, der Arbeit spart, ein Readymade Kunstwerk, ein Produkt, das unrealistisches Haarwachstum verspricht, aber auch eine clevere Finanzstrategie. Helen Lewandowski von der London School of Economics nennt in ihrer Diskussion des Buches ein weiteres Beispiel aus dem Kunstbereich: Menschen standen stundenlang in Schlangen vor dem Kunst-Museum, um „The Artist is Present“ von Marina Abramović zu besuchen und die Künstlerin schweigend zu sehen. Im Englischen ist das Wort „Gimmicky!“ ein häufig genützter Begriff, wenn man mit Dingen, die zu unserer Liste passen, konfrontiert ist. In den Kapiteln des Buches werden Gimmicks in Literatur, Kunst, Photographie, Philosophie und Ökonomie diskutiert.

Immer wenn wir Menschen etwas dieser Art als „Gimmick“ benennen, deuten wir an, dass wir uns unsicher sind, ob der Gegenstand unsere Aufmerksamkeit und (wichtiger:) unser Geld wert ist. Für Ngai steht dahinter eine grundlegende Unsicherheit hinsichtlich des Reichtums im Kapitalismus. Wenn wir immer wieder Dinge als „Gimmick“ einstufen, meinen wir, etwas sei überbewertet. Das Gimmick ist meine investierte Zeit und/oder Geld nicht wert. (Denken Sie hier beispielsweise an einen rostfreien Bananenschneider.) Für Ngai geht das ans Herz unserer kapitalistischen Welt: „The gimmick is thus capitalism’s most successful aesthetic category but also its biggest embarrassment and structural problem. With its dubious yet attractive promises about the saving of time, the reduction of labor, and the expansion of value, it gives us tantalizing glimpses of a world in which social life will no longer be organized by labor, while indexing one that continuously regenerates the conditions keeping labour’s social necessity in place.“ (S. 2) Wir reden dann über Arbeit, und wie man sie sich mit einem Gimmick spart, das Gimmick selber symbolisiert aber keineswegs einen sinnvollen Einsatz von Ressourcen.

Erfolgreicher Unfug

Und dann merken wir noch, wie erfolgreich Gimmicks sind. Auch wenn wir selbst feststellen, dass sie Unfug sind, nehmen wir doch zur Kenntnis, dass andere sie weiter kaufen. Ngai dazu in The Nation (11. Juni 2020): „So while predominatly negative or critical, our aesthetic judgement also includes a recognition of how socially powerful the promises of capitalism are – of how they manage to remain appealing and collectively effective in spite of being perpetually broken.“