Peter Thiel, der Gründer von PayPal, stellte 2009 die provokante These auf, dass Freiheit und Demokratie nicht länger kompatibel seien. Auch Elon Musk gehört zu den bekannten libertären Unternehmern, deren Blick auf den Staat sich zusammenfassen lässt mit der griffigen Formel „Besteuerung ist Diebstahl“. Viele dieser Milliardär:innen sind wohl Opportunist:innen, die Steuern sparen wollen. Einige sind jedoch Überzeugungstäter, die tatsächlich einen Weg suchen, um einen Kapitalismus ohne Demokratie zu schaffen. Für sie ist politische Freiheit vor allem eine Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Freiheit. Quinn Slobodian taucht tief ein in die Gedankenwelt, die Utopien und die Umsturzfantasien der Libertären verschiedenster Spielarten. Sein Buch ist faszinierend, unterhaltsam und erschreckend zugleich.
Zentral in den Strategien für die Schaffung einer neuen Weltordnung des Kapitalismus ohne Demokratie sind „Zonen“. Mit dem Begriff der Zone fasst Slobodian gesonderte Rechtsräume zusammen, die von Steueroasen über Freihäfen bis zu Sonderwirtschaftszonen für exportorientierte Niedriglohnarbeit reichen. In diesen Zonen hat der Staat privaten Akteuren Privilegien wie Steuerbefreiungen eingeräumt und ihnen weitgehende Autonomie zugestanden. Unternehmen verwalten sich dort selbst, können eigene Gesetze erlassen und unterhalten eine Privatpolizei. Durch die Schaffung von immer mehr solcher Zonen soll ein Unterbietungswettbewerb zwischen den Staaten in Gang gesetzt werden, in dessen Zuge Staaten immer mehr Souveränität abgeben, um für die global mobilen Unternehmen attraktiv zu bleiben. Schlussendlich bestünde die Welt aus tausend verschiedenen Zonen mit unterschiedlichen Rechtssystemen. Unternehmen könnten dann das System wählen, dass ihrem Geschäftsmodell am besten passt, und jederzeit weiterziehen.
Slobodian führt diese Strategie zurück auf den Ökonomen Milton Friedman, der das gängigste neoliberale Rezept in den 1970er Jahren anhand von Hongkong entwickelte. Hongkong war damals noch eine britische Kolonie mit großer wirtschaftlicher Freiheit, aber komplett ohne demokratische Mitbestimmung. Hongkongs Rezept besteht aus den Zutaten sehr niedriger Steuern, absolutem Schutz des Privateigentums, minimaler staatlicher Eingriffe, Rechtssicherheit und niedriger Handelshemmnisse. Diese Kombination wird von ihren Anhängern auch als „Tragbares Hongkong“ bezeichnet. Laut Friedman könne man mit diesem Rezept den wirtschaftlichen Erfolg Hongkongs überall auf der Welt wiederholen. Ähnliche Ansätze findet Slobodian auch in Singapur und der City of London.
Doch Slobodian beschreibt auch unbekanntere, radikalere Experimente des libertären Autoritarismus. In Südafrika wollten Libertäre während der Apartheit die rassistisch segregierten, offiziell unabhängigen „Homelands“ in unregulierte Niedriglohnzonen verwandeln. Hans-Adam II., der ehemalige Fürst von Liechtenstein, gab seinem Land eine neue Verfassung, die ihn einerseits zu einem absoluten Monarchen machte, die aber andererseits die Möglichkeit vorsah, die Monarchie abzuschaffen oder das Land sogar komplett aufzulösen. Am abenteuerlichsten ist wohl Michael van Nottens Plan, einen Geschäftsclan weißer Männer in Somalia zu gründen. Aktuell drehen sich die libertären Utopien um die Möglichkeit, ein Cloud-Land im Metaversum zu gründen.
Werden die Anhänger:innen des Kapitalismus ohne Demokratie Erfolg haben? Ist dieses Konzept der liberalen Demokratie tatsächlich überlegen? Die stetige Ausbreitung immer neuer Zonen und der wirtschaftliche Erfolg autoritär-kapitalistischer Länder wie Singapur scheinen dafür zu sprechen. Slobodian schließt mit der Frage, ob das Konzept nicht nur gutes Marketing sei. Denn seine Untersuchung der verschiedenen Konzepte zeigt auch deren stetiges Scheitern in der Praxis. Die existierenden Zonen sind keine Paradiese der wirtschaftlichen Freiheit, sondern vielmehr Werkzeuge von starken Staaten. Deutlich wird das am Beispiel China, das im Rahmen seiner Neuen Seidenstraßen Zonen nutzt, um wirtschaftlichen und politischen Einfluss weltweit zu gewinnen. So befinden sich die dort ansässigen Unternehmen letztlich doch wieder in Abhängigkeit eines starken Staates. Und aufgrund der dort mangelhaften Rechtssicherheit haben sie oft keinen Einfluss auf politische Entscheidungen.
Slobodian endet mit einem optimistischen Ausblick: Das Beispiel Hongkong zeigt, dass die libertäre Vorstellung immer wenig mit der Realität zu tun hatte. Zum einen wurden die Interessen der Einwohner:innen vollkommen übersehen, die Mitbestimmung verlangten. Zum anderen wurde ignoriert, dass ein größerer Nachbar eine kleine Zone ohne starken Staat einfach übernehmen kann. Freiheit und Demokratie sind also nicht nur kompatibel, sondern langfristig auch füreinander notwendig.