Ulrike Herrmann

Das Ende des Kapitalismus

Ausgabe: 2023 | 2
Das Ende des Kapitalismus

„Der Sieg des Kapitals“ und „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ – so die Titel zweier Bücher der taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann, in denen sie den Aufstieg und die Produktivkraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems beschreibt. Ihr neues Buch heißt nun „Das Ende des Kapitalismus“. Man könnte meinen, die Autorin macht eine Kehrtwende, doch sie denkt die Ausführungen ihrer letzten Bücher konsequent weiter. Wir können uns den Kapitalismus mit seiner gigantischen Produktivität nicht mehr leisten, weil wir damit an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Wenn wir unsere ökologischen Lebensgrundlagen retten wollen, führe kein Weg an Schrumpfung vorbei. Grüne Technologien würden zwar immer besser, aber nie reichen, um den Klimawandel auf ein verträgliches Maß einzugrenzen und zugleich den Wohlstand der Hochkonsumländer aufrechtzuerhalten, geschweige denn auf andere Länder auszuweiten.

 

Auf Grundbedürfnisse achten

Es müsse daher ein Wirtschaftssystem gefunden werden, das die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt, die verfügbaren erneuerbaren Energieträger nutzt, die verbleibenden Angebotslücken aber mit Schrumpfung ausgleicht. Herrmann beschreibt, was die notwendigen Klimawenden für Branchen wie den Automobilsektor, die Flugzeugindustrie oder die Bauwirtschaft in Deutschland bedeuten und zu welchen Friktionen diese führen würden. Sie lehnt neue Technologien keineswegs ab, zeigt aber deren Grenzen auf – von der Materialintensität der Solarenergie über die viel zu teuren und zu spät kommenden CO2-Abscheidungspläne bis hin zu den bekannten Rebound-Effekten. „Qualitatives Wachstum“ in einer Dienstleistungsgesellschaft sei nicht machbar, weil „auch Krankenpfleger Häuser bauen oder Autos kaufen wollen“ (S. 198).

Herrmanns zentraler Gedanke: Der Kapitalismus ist keine Torte, die sich beliebig zerstückeln lässt. Selbst geringe Einkommensverluste sind nicht zu verkraften, wenn sie sich Jahr um Jahr wiederholen sollen: „Der Kapitalismus ist auf Wachstum angewiesen. Fehlt es dauerhaft, kommt es zum chaotischen Zusammenbruch.“ (S. 209). Doch: „Künftig bestimmt die Natur, wie viel Wachstum möglich ist – und nicht das Wachstum, was von der Natur übrigbleibt.“

(S. 255) Herrmann plädiert daher für eine „Überlebenswirtschaft“ (S. 258), in der der Staat vorgibt, was produziert wird und wie groß die Rationen sind, die Bürger:innen jeweils zustehen. Die Produktion erfolge aber weiterhin von privatwirtschaftlich geführten Unternehmen. Als Vorbild sieht die Autorin daher nicht die verschiedenen Modelle eines Ökosozialismus, sondern die britische Kriegswirtschaft der 1940er-Jahre, in der in kurzer Zeit auf ein Wirtschaften nach Bedarfsplänen umgestellt worden sei. Nun gehe es um die Abwendung der Klimakrise. „Wenn sich grünes Wachstum als Illusion erweist, bleibt nur die Rationierung.“ (S. 249) Diese entspreche dem Prinzip des allen zustehenden CO2-Budgets und würde die Reichen genauso treffen wie die Normalverdienenden. Denn dies sei gerechter und auch für die Mehrheit akzeptabler: „In Großbritannien wurde die Rationierung im Krieg nur deswegen so willig hingenommen, weil sie für alle galt.“ (S. 249)

 

Über Rationierung

Hermann ist sich bewusst, dass Rationierung in unseren Konsumgesellschaften schwer vermittelbar ist. Es gäbe jedoch erste Beispiele wie den deutschen Wassernotversorgungsplan, der bei großen Dürreperioden zum Tragen kommt. Das Leben wäre aber auch ohne Kapitalismus lebenswert: „Die Deutschen könnten weiterhin in Urlaub fahren, ihr Smartphone nutzen, Bücher lesen und in Restaurants gehen. Flüge allerdings würde es nicht mehr geben, Autos wären kaum mehr unterwegs, und Immobilien müssten rationiert werden.“ (S. 250) Eine ökologische Kreislaufwirtschaft würde alles bieten, was ein gelungenes Leben ausmacht: „Anregung, Abwechslung, Erkenntnis, Austausch, Freundschaft, Liebe“ und vieles mehr. (S. 262)

Ulrike Herrmann denkt in der Tat konsequent zu Ende, was es bedeuten würde, eine klimaneutrale Weltwirtschaft innerhalb der nächsten Jahrzehnte umzusetzen. Dass dies mit dem gegenwärtigen Kapitalismus nicht machbar ist, leuchtet ein. Möglicherweise kommt die Umstellung in Raten, wenn verbindliche CO2-Einsparziele für alle Hochemissionsländer nicht eingehalten werden und das Nicht-Erreichen mit Sanktionen belegt wird. Deutschland wird diesen radikalen Weg nicht allein gehen, wie sich auch Hermann bewusst ist. Ebenso möglich ist aber, dass die Wende nicht kommt und wir weiter ins Klimachaos stürzen. Hermann könnte sich dann zumindest zugutehalten, einen Alternativweg aufgezeigt zu haben, auch wenn ihr Modell bedeutend mehr Erläuterung brauchen würde als im Buch beschrieben wird. Die Tücken liegen bekanntlich im Detail. Machbarer erscheint dem Rezensenten eine ökosoziale Marktwirtschaft mit begrenzten CO2-Budgets und weitgehend egalitären Einkommensverhältnissen, die das Füllen des Konsumkorbs aber den Menschen überlässt.