Sind die Bauern noch zu retten? Zukunft alpiner Kultur

Ausgabe: 1994 | 3

"Die industrielle Wirtschaftstätigkeit erfüllt ihren Sinn im Produzieren, die bäuerliche im Kultivieren" hierin machen die Herausgeber dieses, die 2. Goldegger Herbstgespräche (1993) dokumentierenden Bandes die Besonderheit des landwirtschaftlichen Sektors aus, der am Beispiel Österreich in Hinblick auf dessen EU-Beitrittsbestrebungen kritisch unter die Lupe genommen wurde. Pro Tag müssen sich in Österreich etwa dreißig bäuerliche Menschen neue Arbeit außerhalb des Wirtschaftssektors Landwirtschaft suchen. Wirtschaftsexperten ermitteln trotz dieses laufenden Strukturwandels einen noch wesentlich höheren Abwanderungsbedarf, um die österreichische Landwirtschaft international konkurrenzfähig zu machen. Die Frage, wieviele Bauern wir brauchen, ist daher von großer volkswirtschaftlicher, ökologischer und politischer Bedeutung.

Nur eine rationell strukturierte Landwirtschaft mache effiziente Regional- und Umweltpolitik möglich, so der Volkswirtschaftler Heinz Ahrens. Er plädiert für Marktorientierung mit sozialen Hilfestellungen: "Betriebe sollen, wenn sie unrentabel sind, aufgegeben, aber Personen, wenn sie in Not sind, sozialpolitisch unterstützt werden." Ganz anders argumentiert sein Berufskollege Heinrich Wohlmeyer; unter Bezugnahme auf das Schweizer "Man and Biosphere"-Programm (MAB), das für den alpinen Raum eine Arbeitskraft/5 ha als wünschenswert errechnet hat, hält er die Aufrechterhaltung der jetzigen Strukturen - Österreich besitzt derzeit ca. 170.000 landwirtschaftliche Betriebe - als ökologisch überlebensnotwendig. (Im "eurofit"-Szenario, das von drastischen „Strukturbereinigungen" ausgeht, gäbe es nur noch etwa 28.000 Landwirtschaftsbetriebe!)

Da Landwirtschaft nicht auf ein" teures Hobby der Industriegesellschaft" reduziert werden dürfe, sondern seinen Platz als "fundamental wichtiger Primärsektor" (Kaspanaze Simma) zurückgewinnen müsse, seien - so weitere, Wohlmeyers Argumente unterstützende Autoren - gesamtvolkswirtschaftliche Strukturveränderungen notwendig. Etwa: Stärkere finanzielle Förderung einer „naturgerechten Wirtschaftsweise", die zu vielfältigen Fruchtfolgen zurückkehrt und nur beschränkt Kunstdünger einsetzt (Herman Priebe). Besinnung auf die" Lebensmittel" als Kern qualitativen Wohlstandes (Günther Nenning). Umstieg auf eine ‚Sonnenenergiewirtschaft', die der Landwirtschaft Zukunftsperspektiven durch neue Einnahmquellen im Bio-Energiesektor sowie durch Abbau fremdenergiebedingter Überschussproduktion eröffnet (Simma).

H. H.

Sind die Bauern noch zu retten? Über die Zukunft einer alpinen Kultur. Hrsg. v. Wolfgang Bauer ... Goldegg: Kulturverein Schloß Goldegg, 1994. 212 S., DM 21,70/ sFr 21,- / öS 169,- (Bestelladresse: Hofmark 7, A-5622 Goldegg)

 

Die Besonderheit des landwirtschaftlichen Sektors im Hinblick auf Österreichs EU-Beitrittsbestrebungen: die industrielle Wirtschaftstätigkeit erfüllt ihren Sinn im Produzieren, die bäuerliche im Kultivieren.