Urs Niggli weiß, wovon er spricht. Geprägt von bäuerlicher Tradition startete er im Jahr 1974 an der ETH Zürich seine Auseinandersetzung mit agrarwissenschaftlichen Fragen. Mit Alle satt? stellt er zusammen, was er in all den Jahren gelernt hat.
Niggli skizziert die Entwicklung der Nahrungsmittelproduktion in den vergangenen Jahrzehnten. Prägend sei der Konzentrationsprozess in der Branche gewesen. Diese betraf die Dünger-, Pestizid und Saatguthersteller genauso wie den Rohstoffhandel, den Einzelhandel und die Lebensmittel verarbeitende Industrie. Unter den 500 größten Unternehmen der Welt seien 50 aus dem Bereich der Nahrungsmittel. Die höhere Effizienz sorgte für sinkende Preise, was den Konsument:innen zu Gute kam. Wenig von den Zugewinnen hatten die Landwirtinnen und Landwirte. 500 der 570 Millionen landwirtschaftlichen Unternehmen der Welt seien noch immer Familienbetriebe.
Über den technologischen Fortschritt in der Landwirtschaft
Der Autor bricht auch eine Lanze für den technologischen Fortschritt in der Landwirtschaft. Er erinnert daran, dass technologische Verbesserungen zu schnellerem Wachstum in der Nahrungsmittelproduktion führten und die Ernährungssicherheit verbesserten. Aber bis 2050 rechnet die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen mit einem um 50 Prozent höheren Bedarf an Lebensmitteln. Dann leben 9,7 statt bislang 7,8 Milliarden Menschen auf dem Planeten. Das entspreche einer notwendigen Steigerung der heute verfügbaren Lebensmittelmenge mit ihrem Gesamtnährwert von 13.100 Milliarden Kilokalorien um mehr als 50 Prozent. Dann dürften 7.400 Milliarden Kilokalorien fehlen, wenn unser Wachstum wie bisher anhält. Bleiben die Ertragssteigerungen in der Größenordnung der letzten 60 Jahre, dann braucht die Menschheit rund 600 Milliarden Hektar zusätzliche Landwirtschaftsflächen, 400 Millionen Hektar davon als Grasland und 200 Millionen für den Ackerbau. (S. 133)
Lässt sich diese Herausforderung an die Ernährungssicherheit mit den Ideen des Biolandbaus vereinbaren? Niggli: Der Biolandbau, so wie er heute funktioniert, eigne sich aus verschiedenen Gründen nicht, um das Problem der globalen Ernährungssicherheit auf nachhaltige Art zu lösen. Was also tun?
Zum Umgang mit Nahrungsmitteln
Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt nicht allein bei der Landwirtschaft. Hunger hängt untrennbar mit Armut zusammen. Armutsbekämpfung wie auch die anderen gesellschaftlichen Ziele der UNO für nachhaltige Entwicklung stehen im Mittelpunkt. Ein sparsamer und vernünftiger Umgang mit Nahrungsmitteln müsste selbstverständlich werden, der Handel könnte ein Partner bei der Förderung dieses Verhaltens sein. Niggli betont die Wirkung, die staatliche Lenkungsmaßnahmen der Landwirtschaft entfalten könnten – wenn sie an die richtigen Bedingungen geknüpft würden. „Eine finanzielle Unterstützung der Landwirtschaft ist nur dann gerechtfertigt, wenn es um Dienstleitungen geht, die am Markt keinen Preis haben. Dazu gehört ohne Zweifel die Erhaltung der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit, die Unterstützung der Regierungen bei der Einhaltung der Klimaziele oder die ethische Verantwortung für eine artgerechte Tierhaltung.“ (S. 138) Schließlich müsse es eine sozial-ökologische Innovationskultur geben. Technologien - auch Genom-Editierung solle man nicht fürchten: „Auch technologische Innovationen gehören zur nachhaltigen Landwirtschaft.“ (S. 145)