Andrea Heistinger, Elisabeth Kosnik, Gabriele Sorgo

Sorgsame Landwirtschaft

Ausgabe: 2022 | 2
Sorgsame Landwirtschaft

Die Wissenschaftlerinnen Andrea Heistinger, Elisabeth Kosnik und Gabriele Sorgo aus den Bereichen ökologischer Landbau, Kultur- und Umweltanthropologie sowie Kulturgeschichte und Geschlechterforschung liefern diese sehr aufschlussreiche Publikation zu ihrer Studie, in der sie am Beispiel von vier Biobetrieben mögliche Wege zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft erforscht haben.

Der Weltagrarbericht stellte 2008 fest, dass „die Steigerung der Produktivität durch die Industrialisierung der Landwirtschaft an ihre ökologischen und gesellschaftlichen Grenzen gelangt ist“ (S. 8) und dass es notwendig sei, sowohl die kleinbäuerliche ökologische Landwirtschaft als auch standortspezifische Anbaumethoden zu stärken. Die Versorgungssicherheit sei gefährdet. 

Das transdisziplinäres Forschungsteam hat sich die Fragen gestellt, wie sich Betriebe organisieren, die auf ökologischem Wege Grundnahrungsmittel produzieren, aus welchen Ressourcen sie schöpfen und wie sie in historische und gesellschaftliche Kontexte eingebettet sind. Die ausgewählten Betriebe wurden mittels rekonstruktiver Genogrammarbeit untersucht, einer qualitativen Forschungsmethode nach Bruno Hildenbrand. Im Fokus liegen die Wechselwirkungen zwischen großen gesellschaftlichen Entwicklungen und den individuellen Biografien. Es wird davon ausgegangen, dass es keine kausalen Linien zwischen Vergangenheit und Zukunft gibt, sondern dass die Vergangenheit einen Rahmen bildet, der Möglichkeiten öffnet, der aber auch überschritten werden kann. Die Analysen der Familiendaten und Interviews zeigen, dass sich aus den familiären Mustern und persönlichen Ressourcen der Befragten letztlich die neuen Formen des Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens auf ihren Höfen ergeben. Über Generationen entwickelte Familienmuster prägen Entscheidungen, sind aber immer auch veränderbar. Die Betriebsleiter:innen schöpfen aus ihrer je eigenen Geschichte und knüpfen neue Verbindungen zu Boden, Pflanzen und Tieren, sowie zu den Menschen, die sie mit den Erzeugnissen versorgen (S.23f.). So kann aus Familiengeschichten „Sorgsame Landwirtschaft“ (S. 10) entstehen, ein Ansatz, der sich von konventioneller, global verschränkter Landwirtschaft ab- und alternativen Theorien und Praktiken ökologischer Produktion zuwendet. In den Agrardiskursen wird zunehmend sichtbar, wie notwendig die Gewichtung weg von Effizienz in der Nahrungserzeugung hin zu einem umfassenderen Verständnis von Nahrungssystemen ist. Besonders wichtig für die vorliegende Studie sind die Überlegungen der Forscherin María Puig de la Bellacasa, die mit dem Begriff der soil care für eine Überwindung der Natur/Kultur Dichotomie plädiert. Es müssen all die bislang unbeachteten Beziehungen in den Blick genommen werden, die zwischen Mensch und Boden, zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteur:innen bestehen (S. 10f.). Auch der Anstoß Donna Haraways, zu artenübergreifendem Denken überzugehen, sowie die Studien der Agrarsoziologin Ika Darnhofer, die nach den Beziehungsmustern fragt, welche Wandel ermöglichen, werden herangezogen (S. 28; 90).

Der abschließende Teil der Kulturhistorikerin Gabriele Sorgo erweitert die Forschungsarbeit um wertvolle Überlegungen zu einem Wirtschaften im Zusammenhang. Was liegt unserer Ernährung zugrunde – marktorientierte Unternehmen oder Care-Arbeit, also Tätigkeiten der Sorge?  Zusätzlich zu Hand- und Wissensarbeit leisten Landwirt:innen auch emotional-affektive Arbeit, die zwar nicht bezahlt, aber dennoch unentbehrlich ist. So werden die realen Beziehungsgeflechte abseits von effizienzorientierter Agrarindustrie sichtbar, in denen Nahrungsmittel entstehen (S. 24). Der Einfluss kapitalistischer Produktionsbedingungen führte vielfach zu einer Verdinglichung des eigenen Handelns. Die interviewten Akteur:innen dagegen sind in ihre regionalen, sozialen und ökologischen Beziehungsgeflechte eingebettet und reflektieren diese auch. Leider wird deren Wirtschaftsweise oft als irrational oder romantisch dargestellt – im Gegenteil sind sie äußerst innovativ, kreativ und respektvoll. Es sei höchste Zeit, die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ernst zu nehmen und sorgsame Formen des Wirtschaftens zu etablieren, von denen womöglich das Überleben der Menschheit im 21. Jahrhundert abhängen wird (S. 94; 101f.).

Ein empfehlenswertes Buch

Das Buch liefert über das Thema der Landwirtschaft hinaus wertvolle Erkenntnisse zu einem notwendigen Wandel im Zusammenleben, Arbeiten und Ernähren. Die große Bedeutsamkeit von Beziehungen und vom Eingebunden-Sein in Zusammenhänge wird nicht nur sichtbar, sondern auch als fruchtbar erkannt. Außerdem zeigt es anstelle eines mutlosen Entweder-Oder eine Vielzahl an Möglichkeiten ökologischen Landbaus auf– die „neuen Bäuerinnen und Bauern“ (S. 67) lassen sich nicht in eine Schublade stecken, was nicht nur deren Resilienz stärkt. Das Buch weist selbst die Art von Sorgsamkeit auf, auf die es in der Landwirtschaft ankommt. Man kann sich nur mehr davon wünschen!