Oliver Stengel

Vom Ende der Landwirtschaft

Ausgabe: 2021 | 3
Vom Ende der Landwirtschaft

Oliver Stengel, Professor für Nachhaltige Entwicklung, forscht zu globaler Transformation und hat ein sehr informatives und umfassend argumentiertes Buch vorgelegt, das die Vision einer postlandwirtschaftlichen Revolution vorstellt.

Landwirtschaftliche Revolution als Misere

Durch den Verbrauch von Ressourcen verändern Menschen zwangsläufig den Planeten Erde und entwickeln sich somit nicht unabhängig von diesem. Sendet er ein Feedback aus, hängt der Fortbestand einer Zivilisation von ihrer Reaktion darauf ab. Die möglichen Reaktionen reichen vom Nicht-Wahrnehmen und Nicht-Reagieren über falsches oder zu langsames Reagieren bis hin zur angemessenen Reaktion. Dieser Prozess läuft bei allen möglichen Zivilisationen im Universum gleich ab. Aus den ableitbaren Szenarien wird ersichtlich, dass die Chance einer Bevölkerung, die Interaktion zwischen ihrem Planeten und der aufstrebenden Zivilisation zu überstehen, eher gering ist. Andererseits sehen wir, dass auch ein Szenario existiert, in dem eine sich nachhaltig entwickelnde Zivilisation möglich ist. Diese ist aber nicht selbst-verständlich, und deshalb spricht Stengel von einem „kosmischen Flaschenhals der zivilisatorischen Entwicklung“ (S. 21), den alle Zivilisationen durchschreiten müssen. Die Bemühungen um nachhaltige Entwicklung gewinnen so neue Bedeutung, denn unsere aktuellen Anpassungsprobleme sind, universell betrachtet, nicht ungewöhnlich, sondern zeugen von einem bestimmten Entwicklungsstadium, in dem wir uns befinden: dem Anthropozän. Stengels Anliegen ist es, herauszufinden, wie wir vermeiden können, im Flaschenhals stecken zu bleiben, und damit großes Leid zu verhindern.

Nach Ansicht des Autors haben vor allem die landwirtschaftliche Revolution und deren negativen Effekte zu unserer aktuellen Misere geführt. Denn Land- und Viehwirtschaft tragen in hohem Maße zu den globalen Umweltveränderungen bei. Der vielversprechendste Ausweg sei also die postlandwirtschaftliche Revolution. Wie es dazu kam, dass uns die Agrikultur in derartige Schwierigkeiten bringen konnte, erörtert Stengel im ersten Kapitel höchst aufschlussreich. Die Transformation vollzog sich, als der Mensch mit dem Beginn der Agrarzeit vom Jäger und Sammler zum „Terraformer“ wurde und immer mehr Biosphäre durch Technosphäre verdrängte. Artenreiche und diverse Landschaften wurden nach und nach Kulturlandschaften, in denen sowohl Nutztiere als auch Pflanzen ganz nach den Ansprüchen der Menschen gehalten wurden. Den heute zunehmend umstrittenen Einsatz von Gentechnik sieht Stengel als eine Fortführung dieses Eingreifens in die Natur, da sie dieser nicht entfremdet, sondern nachempfunden ist. In seiner Vision einer Welt ohne Landwirtschaft leistet solch ein Eingriff sogar noch mehr: invitro-Fleisch und Pflanzen in vertikalen Farmen mit genetisch optimiertem Photosyntheseprozess könnten die Rückwandlung von Weide- und Agrarflächen in Wildnis möglich machen, und damit zur Stabilisierung des Klimas und unserer Lebensgrundlagen beitragen. Im letzten Kapitel werden Argumente gegen gängige Kritik dargelegt, letztlich aber sei „Natur schützen und sie gleichzeitig nutzen zu wollen ein Widerspruch“ (S. 179).

Vision der Ernährung für alle

Die Möglichkeit der Ernährung einer weiter wachsenden Bevölkerung auf unserem Planeten wird in dieser Vision plausibel beantwortet, weitere dabei aufkommende Fragen rund um ein gelingendes (Zusammen-)Leben bleiben aber noch unberührt.