Perspektiven zur Staatsschulpädagogik

Ausgabe: 1989 | 3

Der Sammelband ist gedacht als" Bestandsaufnahme und Einführung", die eine Lücke im einschlägigen Schrifttum schließen soll. Sein Thema: Entwicklung und Verlauf der "pädagogischen Erneuerungsbewegung " der Nachkriegszeit, unter Einschluß historischer und internationaler Perspektiven. Die 17 Beiträge sind in drei Blöcken wie folgt gruppiert:

  1. Nationale Entwicklungen: BRD, Schweiz, Italien, England, USA, Israel.
  2. Begründer und Klassiker: R. Steiner, M. Montessori, C. Freinet, A.S. Neill, Pavel P. Blonskij, P. Freire.
  3. Internationale Bewegungen: anarchistische Pädagogikkritik, Kinderrepubliken, Schulkooperativen, Community Education, Antipädagogik.

Das Gros der Autorinnen kommt aus akademischer Lehre und Forschung, alle sind durch einschlägige Veröffentlichungen bzw. Aktivitäten als Kenner der Materie ausgewiesen. Inhaltliches Auswahlkriterium sind Konzepte "mit Praxisbezug" ohne "eindeutig faschistische oder antiemanzipatorische Elemente". Die leitende Absicht der Herausgeber ist nicht harsche Schulschelte, sondern ein Plädoyer "für Vielfalt in der Erziehung", das - konsequent - "auch die Schule nicht gänzlich verwerfen darf". Die Einleitung umreißt den "evolutionären Vorteil" der Schule pointiert so: "Sie ist zumindest eines: die erfolgreiche Institutionalisierung einer systematischen Zeitverschwendung zum Zwecke der Zeitgewinnung ", Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Pendel insgesamt stärker in Richtung Kritik ausschlägt. Oder andersherum formuliert: Engagement und Wärme der Darstellung gelten überwiegend dem "Alternativen wobei aber die Grenze zur blinden Liebe und zum Eiferertum nicht überschritten wird. Das Konzert der eingebrachten Stimmen klingt nicht in eitler Harmonie aus. So polemisiert etwa der Geschäftsführer der AG SPAK, H. Schulze, in seiner stark apologetischen Darstellung des Ansatzes von Freire gegen Tremls Aufsatz "Der Freire Mythos“ von 1987. Die entschiedenste Kritik an einem prominenten Klassiker der "alternativen Richtung trägt Treml über R. Steiner vor: "Die Versteinerung der Waldorfpädagogik ist (...) unvermeidlich, weil sie letztlich in einem Offenbarungswissen eines Propheten gründet, das nicht überholt und nicht verbessert werden kann." Den explizitesten Vermittlungsversuch zwischen herkömmlicher und alternativer Pädagogik (im weiteren Sinn) stellt F. H. Paffrath an, wenn er Pädagogik und Antipädagogik "in einem dialektischen Verhältnis zueinander" sieht. Der Beitrag "Freie Alternativschulen in der Bundesrepublik" von Regelmann/Mutscheller/Göhlich ist in diesem Punkt weniger versöhnlich. Die Vielfalt der Stillagen und Darstellungsweisen ist beabsichtigt und wohltuend. Keinesfalls überlesen sollte man: den "Prolog“ in dem Treml 7 Grundsätze einer "alternativen Didaktik" in der Beziehung Goethe-Eckermann aufspürt, die fast so etwas wie ein Gerüst des ganzen Bandes abgeben, und Liegeles Deutung des Phänomens ”Kinderrepublik". Zwei essayistische Kabinettstücke, womit aber nichts über die Qualität der übrigen Beiträge gesagt ist. Ein facettenreiches, anregendes, instruktives "Handbuch", das für fachfremde Interessierte eine Fülle von Entdeckungen bereithält.

Apropos Lernen. Alternative Entwürfe und Perspektiven zur Staatsschulpädagogik. Hrsg. v. Ulrich Klemm u. Alfred K. Treml. München: AG-Spak, 1989, 302 S. (Materialien der AG SPAK; 92)