Megatrends für die späten neunziger Jahre

Ausgabe: 1996 | 1

Die Truppe aus dem Trendbüro Hamburg kommt, angeführt von M. Horx, so einher, als hätte sie die Zukunft fest im Griff: Die feine Nase im Gemenge von Mega-, Branchen- und Konsumententrends, werden (etwa gar die bewährte Symbolik der Zahlen nützend?) 12 prägende Settings für die späten Neunziger erschnuppert. Ganz vorneweg, gewissermaßen als" Mega-Mega-Trend", der" Soft-Individualismus": Nicht Körperkult, sondern" Wellness", nicht strenge Diät, sondern jedem das Seine, so lautet die Devise. An die Stelle von Erlebnis, Leistung, Lust, Ich, Eros, Materialität und Spaß - die dominierenden Werte der Ego-Ära treten Erfahrung, Engagement, Gelassenheit, Freundschaft, Ehrlichkeit, Spiritualität und Verantwortung. Die weiteren 11 Trends in Kürze: Das Elektrizismusprinzip: Sowohl-als-Auch, Nomadikdesign und in Sachen Kosmetika - die "Körper-Küche" mit Bananenshampoo, aber auch "Ökolozismus" (= Ökologie + Katholizismus) als Ausdruck des konsumistischen Schuldgefühls und des Ablaßhandels in Form von Mülltrennung. Aufstand der Alten: "Woopies", die wohlhabenden Alten, erobern den Markt, Gerontotechnik und Gonzo-Marketing (absolut bescheuerte Werbung) sind im Kommen. Glauben-light: Mit dem Massenexodus aus den Kirchen nimmt die Spiritualität an Bedeutung zu, in der Sicht der Protagonisten des neuen Sterbens wird der Tod Teil der Erlebniskultur, und allenthalben ist die Rückkehr der Rituale zu beobachten. Das große Heimweh: Gefragt sind Authentizität und Glaubwürdigkeit im Marketing ebenso wie in Küche und Kleidung. New Work: Alles wird anders als früher; gefordert werden Crossover-Qualifikationen und die "Fähigkeit, ohne Streß auf den Wellen des Chaos zu surfen". Mediennavigatoren, Ritualisten, und Zukunftspositivisten auf Teilzeitbasis zählen zu den Gewinnern. Explosion der Netze: Kommunikation statt Information, Dialogmedizin, Cybercrash und -crime, aber auch Anti-Computer-Backlash sind einige zentrale Stichworte. Die Rache der Frauen: Männer werden immer mehr zu den "neuen Trotteln", Bad Girls, Tank Girls u. a. beherrschen die Szene. Abschied vom Sex: die   „Hormonattacke" setzt Männer außer Gefecht, das Spektrum reicht von Fetischisierung des Sex bis hin zu strikter Enthaltsamkeit. Neuer Optimismus: signalisiert u. a. durch bunte Farben und "ewige Kindlichkeit". Antigeschmack: reicht vom (kreativen!) Debilismus a la Helge Schneider über "White Trash" und Francy Goods bis hin zu Melancholika (Erinnerungen an die Kindheit) und die Lust am Bösen. Moralfaktor. Biodesign, neue Alchemie, aber auch Ökorelativismus und "Schönheit des Mülls" als Akzeptanz einer Recycling-Ästhetik, Moral-Marketing und die Auseinandersetzung um eine Ethik der Bilder. Hier wird ein Kaleidoskop der näheren Zukunft geboten, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Vorausblickende Unterhaltung dieser Art findet man leider viel zu selten. W Sp.

Horx, Matthias: Trendbüro: Trendbuch 2. Megatrends für die späten neunziger Jahre. Düsseldorf (u.a.): Econ, 1995. 3495., DM/sFr 39,80/ÖS 295