Peter Birke

Grenzen aus Glas

Ausgabe: 2023 | 2
Grenzen aus Glas

Das im Rahmen einer groß angelegten Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI) entstandene Buch „Grenzen aus Glas“ zeigt am Beispiel der Fleischindustrie und des Onlinehandels in Deutschland Arbeitsbedingungen sowie Arbeitskämpfe von Menschen mit Migrationsgeschichte auf. Im Wesentlichen macht das zwischen 2017 und 2021 laufende Projekt die zwei Gesichter der Lohnarbeit sichtbar: „Je nachdem, in welches dieser beiden man blickt, scheint sie den Weg zum Hort der Freiheit oder zum Abgrund der Unfreiheit zu weisen.“ (S. 33) Dadurch, dass in Deutschland die Aufenthaltserlaubnis eng an Erwerbsarbeit geknüpft ist, kann ein Arbeitsverhältnis den Weg hin zu Emanzipation und Freiheit ebnen, blickt man jedoch hinter die Werkstore von Amazon oder Danish Crown kann dieses auch „Unfreiheit und Knechtschaft“ (S. 35) für die Menschen bedeuten.

Für die besprochene Studie wurden unzählige Betroffene sowie Betriebsrät:innen und weitere Akteur:innen, etwa Sozialarbeiter:innen aus NGOs, befragt. Die dabei zu Tage gekommen Schilderungen zeigen auf, wie ein würdiges und der autochthonen Gesellschaft gleichgestelltes Leben für Menschen mit Migrationsgeschichte oftmals strukturell verunmöglicht wird: „Die Befragten berichten, dass weiteres Schmiergeld gezahlt werden müsse, um nach zwei Jahren Befristung einen unbefristeten Vertrag zu erhalten, wobei die verlangte Summe dann auf deutlich über 1.000 Euro steige.“ (S. 114) Diesen „Gebühren“ konnte auch der konsultierte Betriebsrat des Geflügelunternehmens nichts entgegensetzen, „da er sich als formal für die Beschäftigten der Subunternehmen nicht zuständig sah.“ (S. 114) Um  folglich Rechte, wie etwa eine Unterstützung durch den Betriebsrat wahrnehmen zu können, müssen sie in den Betrieb als Angestellte übernommen werden und damit haben sie keine andere Wahl als die „Gebühren“ zu zahlen.

„Grenzen aus Glas“ weigert sich trotz allem, prekär Beschäftigten mit Migrationsgeschichte einen passiven Opferstatus zuzuschreiben. Die Kapitel sind immer auch durchzogen von Momenten des Erfolges, in welchen sich Arbeiter:innen gegen das Management durchsetzen. Zudem widmet Birke dem Thema „Migration und Arbeit unter Covid-19“ ein eigenes Kapitel. Wie in vielen anderen gesellschaftspolitischen Bereichen fungierte auch hier die Krise als Weckruf für bestehende Probleme, wie der Skandal rund um Tönnies verdeutlicht.