Thomas Faist

Exist

Ausgabe: 2023 | 4
Exist

Der Migrationssoziologe Thomas Faist behandelt in seinem umfassenden Werk „Exit. Warum Menschen aufbrechen. Globale Migration im 21. Jahrhundert“ die großen Fragen der Migrationsforschung. Der Experte arbeitet sehr detailliert und reich an Quellen und Verweisen heraus, wie eng Migration und Ungleichheit zusammenhängen. Auf der nationalen Ebene im Herkunftsland zeigt sich dieser Zusammenhang im Kontext der Frage, für welche Personengruppen Migration überhaupt in Frage kommt. Global betrachtet sollten aber auch ökonomische Eliten in OECD-Regionen nicht außer Acht gelassen werden, da diese Gruppe isoliert betrachtet selbst eine Migrationsquote von etwa 12-15 Prozent erreicht.

Folgen von Migration

In der Analyse der ökonomischen Folgen von Migration für Emigrations- und Integrationsländer werden die mitunter negativen Folgen für Herkunftsländer sichtbar,  während in den Zielländern kaum strukturelle Veränderungen auftreten. „Eine Erklärung für diesen Sachverhalt könnte darin liegen, dass das Potenzial für weitreichenden sozialen Wandel deshalb begrenzt ist, weil die ‚kulturellen und Machtarrangements‘ so wirken, dass Migrant:innen in den Zielländern vorwiegend in bereits bestehende Positionen hineingeschleust werden“ (S. 81).

Die negativen Auswirkungen für Herkunftsländer werden unter anderem am Beispiel der zirkulären Migration bzw. Arbeitsmigration sichtbar: So beschreibt Faist, dass zwar gewisse Erfolge im Zuge der Gastarbeiter:innenanwerbung in den 1660er Jahren erreicht worden waren, jedoch scheinen die Kehrseiten dieses Ansatzes zu überwiegen, wie das Beispiel 500 Pflegekräfte für Deutschland zeigen sollte. Das Ziel war es, Pflegekräfte für Deutschland – auch bekannt als „Tripple Win-Projekt“ (S. 207) – aus den  Philippinen zu gewinnen, doch die gesetzten Ziele, „den Mangel an Pflegekräften in Deutschland zu mindern, die Arbeitslosigkeit für Pflegekräfte auf den Philippinen zu verringern und die Rücküberweisungen aus Deutschland in die Philippinen zu erhöhen“ (S. 207), wurden so nicht erreicht. Vielmehr wurde durch die intensive Ausbildung von Fachkräften für das Ausland ein Fachkräftemangel vor Ort tendenziell verschärft, was sich wiederum negativ auf die Qualität und den Ausbau der philippinischen Gesundheitsversorgung auswirkte. Darüber hinaus belegen Studien sogar, „dass brain drain in brain waste mündete, weil viele Pflegekräfte nach ihrer Rückkehr angesichts geringer öffentlicher Investitionen in den Gesundheitsbereich auf den Philippinen keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit fanden“ (S. 209).

Für zirkuläre Migration spricht jedoch, dass damit sowohl die Dauer als auch die Höhe von Rücküberweisungen in das Herkunftsland erhöht werden können: „Eine Grundlage für diese Argumentation ist die Beobachtung, dass allein die Rücküberweisungen, die von Ziel- in Herkunftsländer fließen, diejenigen der offiziellen Entwicklungshilfe Anfang der 2000er-Jahre weltweit schon um mehr als das Fünffache übersteigen“ (S. 213).

Beeindruckende Aufarbeitung eines komplexen Sachverhaltes

Mit „Exit“ ist Thomas Faist eine umfassende Analyse verwobener Strukturen und Wechselwirkungen im Bereich globaler Migration und Transnationalität gelungen. Es ist an der Zeit, Migration als Fortführung der sozialen Frage zu betrachten, um ein besseres Verständnis der dahinterliegenden Motive – individuell wie strukturell – zu gewinnen. Darüber hinaus braucht es diese Perspektive auch im Kontext der Lösungsfindung.