Alexander Behr

Globale Solidarität

Ausgabe: 2023 | 2
Globale Solidarität

Im Zentrum der Vielfachkrise unseres Planeten sieht der Wiener Politikwissenschaftler und Journalist die nach Ulrich Brand so benannte „imperiale Lebensweise“. Danach lebt im herrschenden Wirtschaftssystem der größte Teil der Menschen im globalen Norden und ein zunehmender Teil der Menschen im Süden auf Kosten der armen Mehrheit der Weltbevölkerung und zu Lasten der Umwelt. Hierdurch werden in vielen Teilen der Welt die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört, eine zentrale Ursache für globale Migrationsbewegungen. Deren Abwehr, so der Autor prägnant, zielt darauf ab, „die globalen Ungleichheiten aufrechtzuerhalten.“ (S. 54)

Verschiedene Zugänge

Angesichts der als Brandbeschleuniger wirkenden Klimakrise ist globale Solidarität auch nötig, weil die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung 52 Prozent der CO2-Emissionen verursachen, während die ärmsten 50 Prozent nur für 7 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. (S.68) Und dennoch sind es ja gerade diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, die am meisten darunter zu leiden haben; dies gilt „vor allem für Menschen aus dem globalen Süden, aber auch für arme Menschen in den Industrieländern.“ (S. 241)

Im Kapitel 2 analysiert der Autor vorangegangene Bewegungen internationaler/transnationaler Solidarität. Er spannt dabei den Bogen von den historischen Internationalen der Arbeiter:innenbewegungen (u. a. Sozialistische Internationale) über die Soligruppen mit der Dritten Welt im Gefolge des Aufbruchs von 1968, bis hin zu den Zapatisten, Occupy und den aktuellen Klima-Bewegungen. Aus der Analyse dieser Bewegungen destilliert sich Solidarität als „Parteinahme für die Unterdrückten, Marginalisierten und Entrechteten, weltweit“ (S. 95) heraus.

Mit dem Ziel, aus der langen „Liste der Irrungen und Wirrungen emanzipatorischer Aufbrüche“ zu lernen, untersucht das Kapitel 3 sogenannte „falsche Alternativen“. Dabei geht der Autor u. a. auf die Pervertierung revolutionärer Prozesse in Russland, Äthiopien, Eritrea, und durch Befreiungsbewegungen im globalen Süden ein, die –einmal an der Macht– zu „schieren Terrorapparaten“ (S. 105) mutierten. Als Quintessenz hieraus „müssen wir uns den riesigen Herausforderungen stellen, uns über längere Zeit auf tatsächlich breite, inklusive und offene Prozesse einzulassen“, um „Mehrheiten für ordnungspolitische Eingriffe“ zu bekommen, ohne dabei dem Autoritarismus zu verfallen (S. 107).

Andere falsche Alternativen sieht der Autor in dem „methodischen Nationalismus“ der sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften nach 1945. Ihnen gelang es zwar, die Lebensbedingungen innerhalb nationaler Kontexte zu verbessern, transnationale / globale Aspekte wurden dabei aber weitgehend aus den Augen verloren. Zu den falschen Alternativen rechnet Behr auch die weitverbreitete Technikgläubigkeit (à la „der Wasserstoff wird das schon richten“, oder Ansätze des Geo- und Climate-Engineering). Und auch die zunehmenden Aktivitäten der Corporate Social Responsibility gehören für ihn zu „einer Welt, in der immer mehr Aufwand betrieben wird, um immer weniger substanziell ändern zu müssen“ (S. 124).

Kapitel 4 ist das Herzstück des Buches. Es beschreibt Ansatzpunkte, die für das „Jahrhundertprojekt der sozial-ökologischen Transformation“ wichtig erscheinen. Dazu gehören Vorschläge in Richtung unterschiedlicher Formen der Arbeitsteilung zwischen Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft und der Politik sowie Ideen, wie etwaigen Vorwürfen Richtung „Öko-Diktatur“ entgegengewirkt werden kann oder auch wie emissionsintensive Industrien umzubauen wären (Stichworte: De-Growth und Post-Extraktivismus). Weiters werden der Green New Deal der EU behandelt (in diesem Rahmen sollten auch Forderungen von sozialen Bewegungen aus dem Süden berücksichtigt werden), die Frage der zunehmenden Vermögenskonzentration („wir müssen die Superreichen ökonomisch und politisch entmachten“, S. 179) sowie die Bedeutung von globalen Mechanismen und Institutionen (z. B. Lieferkettengesetz, Strafgerichtshof für Menschenrechte).

Das Kapitel 5 stellt soziale Kämpfe aus unterschiedlichen Kontexten vor (wie z. B. die Landarbeiter:innen von Alméria, die Flüchtlingslager in Moria und Kara Tepe), bei denen der Autor z. T. selbst als Aktivist involviert war bzw. immer noch ist. Die Bewegungen für Klimagerechtigkeit gelten dabei als „Dreh- und Angelpunkt für das Jahrhundertprojet sozial-ökologische Transformation“, und „weil die Klimakrise nicht vor Grenzen haltmacht, ist globale Solidarität zentral für diese Kämpfe.“ (S. 241)

Eine empfehlenswerte Lektüre

Dem vom Autor formulierten Anspruch, seinen Leser:innen „Handwerkszeug, Diskussionsgrundlage, Strategiepapier und Reflexionsinstrument“ (S. 18) an die Hand geben zu wollen, wird das Buch mehr als gerecht. Eine empfehlenswerte Lektüre, damit angesichts der Klimakrise die Themen globaler Armut und Ungleichverteilung nicht unter die Räder kommen.