Judith Kohlenberger

Das Fluchtparadox

Ausgabe: 2023 | 2
Das Fluchtparadox

Bereits im Vorwort ihres neuen Buches „Das Fluchtparadox“ fordert die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger Wut ein. Sie bezieht sich dabei auf den Leitspruch amerikanischer Klimaaktivist:innen, Feminist:innen sowie Kongressabgeordneter: „If your‘re not outraged, you‘re not paying attention.“ (S. 9) Die kritisierte fehlende Aufmerksamkeit sieht Kohlenberger insbesondere innerhalb der Flucht- und Migrationsdebatte unter „‚uns‘ (sprich: weißen Europäer*innen)“ (S. 9). Wir, so die Migrationsforscherin, sind davon überzeugt, dass uns all das, was Menschen anderswo geschieht, aufgrund unserer Grund- und Menschenrechte ohnehin nicht zustoßen kann. „Diese Grundannahme möchte ich mit diesem Buch nachhaltig erschüttern. Grundrechte kann man nicht einfach für die einen abstellen, während sie für die anderen weiter gelten. […] Entweder alle haben sie oder niemand hat sie.“ (S. 10) Die Überzeugung, dass gleiche (Grund-)Rechte für alle gelten sollten, geht mit der Realität unseres Asylregimes nicht konform. Neben vielen kleineren Gegensätzen arbeitet die Autorin drei Paradoxien heraus, um den als normal angesehenen Zuständen ihre eigene Widersprüchlichkeit aufzuzeigen: Das „Asylparadox“ soll verdeutlichen, dass gegenwärtig Menschen auf der Flucht aufgrund fehlender legaler (und sicherer) Fluchtruten Recht brechen müssen, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu können. Das „Flüchtlingsparadox“ befasst sich mit den Erwartungen, mit welchen Geflüchtete im Ankunftsland konfrontiert sind. Zum einen sollten sie natürlich schutzbedürftig sein, andererseits aber auch selbstständig und leistungsfähig. Das dritte Paradox behandelt die „Integrationsfrage“, denn von Menschen mit Migrationsgeschichte wird zwar erwartet, dass sie sich gesellschaftlich wie beruflich integrieren, werden sie jedoch zu sichtbar und/oder erfolgreich folgen weitere Debatten.

Kohlenberger blickt realistisch in die Zukunft, nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ werden paradoxe Momente im Umgang mit Flucht und Asyl zunehmen. Es gilt daher, der voranschreitenden Dehumanisierung von Geflüchteten sowohl im öffentlich-medialen wie auch politischen Diskurs und in Form von realen Handlungen entgegenzutreten und eine neue Erzählung gegen das Fluchtparadox zu schaffen. Erfahrungen des Gelingens, wie sie auch 2015 zu finden waren, können hierfür die Basis bilden.