Elinor Cleghorn

Die kranke Frau

Ausgabe: 2023 | 2
Die kranke Frau

Elinor Cleghorns kulturhistorische Beschreibung der Benachteiligung und des Sexismus im medizinischen Betrieb ist im wahrsten Sinne ein Schocker. Die Ideen einer männlich geprägten Medizin, die mit einem Verständnis von scheinbaren weiblichen Defiziten verknüpft sind, beginnen bei Cleghorns Darstellung in der Antike und ziehen sich mit den absurdesten Vorstellungen über den Charakter der Fortpflanzungsorgane bis in die Gegenwart. Der Fokus liegt auf gynäkologischen Erkrankungen, auch wenn das natürlich kein vollständiges Bild der Geschichte zeichnen kann – das zeigt auch die kurze Darstellung der eigenen Erfahrung der Autorin im Kampf um die Diagnose ihrer Autoimmunerkrankung Lupus. Allerdings entspringen genau hier viele der bis heute wirkenden Denkmuster über Frauen, betrifft das nun  vermeintliche Schwäche, die „aufbegehrende“ Gebärmutter, wenn sie ihrer Fortpflanzungsaufgabe nicht nachkommt und sich „langweilt“ oder Hysterie. Diese angeblichen Ursachen werden (auch heute noch) nur zu gern als Erklärung für weibliche Schmerzen herangezogen, selbst wenn eindeutige körperliche Befunde vorliegen. Das historische Beispiel einer Frau aus Liverpool, die wohl ein halbes Jahrhundert über starke Schmerzen geklagt haben muss, ist hier bezeichnend: In der Untersuchung des Körpers nach ihrem Tod, wurden diverse Tumore und eindeutige Befunde im Bauchraum festgestellt. Als Ursache war dennoch Hysterie beschrieben: „Das Vorurteil, das dahintersteckte, verhinderte nicht nur Diagnosen; es brachte Frauen [durch schwerwiegende Fehlbehandlungen] um.“ (S. 400)

Heute sind es etwa unerkannte Herzinfarkte oder Endometriose (die „Karrierefrauenkrankheit“), bei denen Frauen noch immer einen Marathon hinlegen müssen, um Anerkennung und Hilfe zu bekommen. Bei Endometriose vergehen bis zur Diagnose beispielweise bis zu zehn Jahre  – falls die Frau nicht vorher aufgibt und sich mit dem Zustand abfindet.

Somit leistet die Analyse einer Jahrhunderte währenden Benachteiligung (die bei geweitetem Blick auf intersektionale Diskriminierung noch gravierender wird) wichtige Aufklärungsarbeit, die hoffentlich einen Teil dazu beiträgt, dass Frauen in Zukunft Anerkennung, Glauben und bessere medizinische Versorgung erhalten und auch einfordern.