Onora O’Neill

Gerechtigkeit über Grenzen

Ausgabe: 2023 | 2
Gerechtigkeit über Grenzen

Der Diskurs über die Notwendigkeit, Abschaffung oder Kontrolle von Grenzen oder ihrer Abschaffung im nationalen Kontext ist vor allem seit den jüngsten Fluchtbewegungen im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Während der Begriff der Grenze allerdings mehr als bloße Staatsgrenzen einschließt, hat sich die Politik v. a. auf diese Diskurse fokussiert. Die Philosophin O’Neill arbeitet in ihrer Monografie mit einem diversen Grenzenbegriff, der über die politische Konstruktivität hinausgeht.

„Gerechtigkeit über Grenzen“ ist eine Aufsatzsammlung, dessen Beiträge die Autorin zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Karriere publiziert hat. Die einzelnen Aufsätze erlangten eine unterschiedlich hohe Reichweite und wurden sowohl im akademischen Feld – O’Neil ist Professorin des Newnham College der University of Cambridge – als auch im zivilgesellschaftlichen Kontext rezipiert. Ihr Buch gliedert die Philosophin in vier kohärente Teile, in denen sie unter verschiedenen Schwerpunkte über Grenzen spricht. Unter Grenzen versteht O’Neill ein Ein- und Ausschlusssystem, das bestimmte Handlungen erlaubt bzw. verbietet. Dabei betont sie die Wichtigkeit von Grenzen in unterschiedlichen Kontexten, da ansonsten die Welt aus einem monolithischen Weltstaat bestünde. Auch die Frage nach Gerechtigkeit lässt sich der Autorin zufolge an den Grenzen gut erörtern.

Im ersten Teil „Grenzüberschreitender Hunger“ sammelt die Philosophin Aufsätze über die Pflicht zum Handeln. Ungerechtigkeiten können sich etwa dann etablieren, wenn Personen nicht ihrer „Akteurschaft“ (S. 13) nachkommen. Rechte können schließlich nur dann einberufen werden, wenn handlungsfähige Personen aufeinandertreffen, wobei alle Parteien handeln müssen. Nach O’Neill sei es aber ungewiss, wessen ungerechtes Handeln zur aktuellen Armut beigetragen habe.

Der zweite Teil „Grenzüberschreitende Rechtfertigungen“ beschäftigt sich mit dem Recht auf Entschädigungen nach Ungerechtigkeiten, was O’Neill zufolge wenig überzeugend ist. Sie argumentiert, dass sich in einer westlich geprägten Welt die Gerechtigkeit eher auf einzelne Gemeinschaften, Städte oder Staaten bezieht. Sie erwähnt, dass die Diskussion über Menschenrechte aus der Autoritätsperspektive ausreichend sei.

Im dritten Teil „Grenzüberschreitendes Handeln“ spricht die Philosophin über die Verwirklichung von Rechten. Dazu ist es notwendig, sowohl die Rechte des Gegenübers zu respektieren, aber auch seine/ihre Pflichten anzuerkennen. Darüber hinaus diskutiert O’Neil über das Problem, wenn Menschenrechte an staatliche Akteure gebunden sind und hebt die Wichtigkeit von NGOs in diesem Zusammenhang hervor.

Das letzte, vierte Kapitel „Grenzüberschreitende Gesundheit“ fragt nach Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Gerechtigkeit – eine Frage, die angesichts der Pandemie, aber auch den immer größer werdenden globalen Ungerechtigkeiten immer dringender wird.

Eine Einladung zum Nachdenken

O’Neills Buch ist eine Einladung, intensiv darüber nachzudenken, was es heißt, gerecht zu handeln. Die Zusammenführung zwischen Gerechtigkeit und Grenzen ist durchaus produktiv und eine interessante Herangehensweise. Ein bestimmtes Vorwissen bzw. ein tiefes Interesse für das Thema sollten die Leser:innen bei der Lektüre allerdings aufweisen.