Geld soll dienen, nicht herrschen

Ausgabe: 2010 | 2

Der Konsumökonom Gerhard Scherhorn (s. auch PZ 10/1) hat auf knapp 100 Seiten in „Geld soll dienen, nicht herrschen“ die Mängel des globalen Wirtschaftssystems eindrucksvoll und plausibel beschrieben. Er beklagt in seiner 2008 gehaltenen „Wiener Vorlesung“ die unvollständige Sozialbindung des Eigentums, das unzeitgemäße Primat des Kapitals und die katastrophenträchtige Unverantwortlichkeit des Finanzkapitals. Aus vielen Gründen hätten sich die Märkte zusehends zu Instrumenten der Einkommensungleichheit entwickelt. Scherhorn begründet das damit, dass zum einen größere Kapitalströme den von ihnen profitierenden Personen höhere Einkünfte bescheren, zudem bevorzugten die Medien jene, die es an die Spitze geschafft haben. Nachhaltigkeit wird in diesem System nur angedacht, wenn es mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist. Aber das System stößt, so Scherhorns Überzeugung, heute an seine Grenzen. Das „Vorantreiben der Kapitalexpansion durch Externalisierung von Kosten auf Umwelt und Gesellschaft, Marginalisierung der Arbeit und Monopolisierung von Gemeinguterträgen lässt sich nicht mehr lange fortsetzen“, so der Ökonom (S. 63f.). Voraussetzung für diese Kapitalexpansion war und ist für Scherhorn der weitgehende Verzicht des Staates auf Kapitalbesteuerung. Genau diese Strategie habe aber die Finanzkraft der Staaten verringert und zu steigender Verschuldung gezwungen. Diese mangelnde Sozialbindung auf Kosten der natürlichen und sozialen Mitwelt verhindert nach Auffassung des Autors eine längst überfällige nachhaltige Entwicklung (vgl. S. 28). Zur Veranschaulichung führt Scherhorn Zahlen an: Von 1983 bis 2001 hat sich der Tagesumsatz auf den internationalen Finanzmärkten von 2,3 auf 130 Mrd. US-Dollar, also um mehr als das Fünfzigfache erhöht (vgl. S. 41). Von diesen 130 Mrd. wurden weniger als 3 Mrd. US-Dollar gebraucht, um den internationalen Handel und die weltweiten Investitionen in den produktiven Sektoren abzuwickeln, alles andere waren reine Finanztransaktionen, Spekulationen mit Devisen und Derivaten, also Wetten auf die Zukunft.

 

Letztlich hat die Politik laut Scherhorn in den letzten Jahren die Bedingungen dafür geschaffen, „dass überhöhte Kapitalrenditen auf Kosten der anderen Produktivkräfte zustande kommen konnten, auf Kosten von Arbeit, Natur, Gesellschaft, und damit auf Kosten der nachhaltigen Entwicklung“. Die Finanzkrise beweise „dass der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form nicht zukunftsfähig ist“ (S. 20), gleichzeitig sei aber der Glaube an die Selbstregulierung der Märkte derart tief in Interessen verwurzelt, dass zu befürchten sei, dass es beim Kurieren von Symptomen bleibt.

 

In Anbetracht der Griechenlandkrise, die sich zu einer Krise der europäischen Gemeinschaftswährung auswuchs, zeigt sich dies bisher in aller Deutlichkeit. Es rächt sich, so Helmut Schmidt in einen Beitrag auf ZEITonline (Wer führt Europa, 12.5.2010), dass seit der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2007/08 eine straffere Regulierung der Finanzmärkte verschleppt worden ist – was jetzt angeblich nachgeholt werden soll. Es ist nicht einmal bei Strafe verboten worden, auf Termin Wertpapiere und Finanzinstrumente zu verkaufen, die der Verkäufer zur Zeit des Geschäftes nicht einmal besitzt. Vor allem aber räche sich die Führungslosigkeit der Europäischen Union.

 

Scherhorn, Gerhard: Geld soll dienen, nicht herrschen. Die aufhaltsame Expansion des Finanzkapitals.  Wien: Picus-Verl., 2009. 96 S. (Wiener Vorlesungen Ed. Gesellschaftskritik; 5) € 9,90 [D], 10,20 [A], sFr 16,80

 

ISBN 978-3-85452-584-4