„Arbeitsfrei“ lautet ganz in diesem Sinne der Titel von Reportagen des Autorenduos Constanze Kurz und Frank Rieger – beide Sprecher des Chaos Computer Clubs. In ihrer „Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“ schildern sie, wie Arbeitsfelder bereits jetzt durch Computer automatisiert sind. Im ersten Abschnitt „Vom Bauern zum Brot“ geht es um die Automatisierung im Lebensmittelbereich: Ob in modernen Agrarproduktionsstätten mit ausgeklügelten Saat- und Kunstdüngerausbringungssystemen, bei Milchbauern mit Melkrobotern, die täglich an die 8000 Kühe melken, in modernen Mahl- und Backfabriken, die die früheren Mühlen und Bäckereien abgelöst haben oder in der Fabrikationsstätte für Mähdrescher – Riesendinger mit Flügelbreiten bis zu 10 Metern und mehr, die weitgehend ohne Menschenhand produziert werden – überall haben die Computer das Kommando übernommen. Beschrieben werden „menschenleere Druckstraßen“, die ohne Setzer auskommen, Erdölraffinerien, die uns das Schmiermittel der gegenwärtigen Wirtschaft beinahe ohne menschlichen Arbeitseinsatz zu Tage fördern, sowie automatisierte Lagerhallen und Transportlogistiken, über die unsere vielen Güter sortiert und für den Verkauf vorbereitet werden.
Im zweiten Abschnitt des Buches werden Beispiele vorgestellt, wie die Computer neue Arbeitsfelder erobern werden: Autos ohne Fahrer, der Einsatz von Telepräsenz und Drohnen, die die alte Fernsteuerung ablösen werden, Roboter, die selbst Roboter bauen sowie schließlich Maschinen, die – wir haben bereits davon gehört – intelligente Leistungen vollbringen werden. Die Computerexperten, die all diese Erneuerungen mit großer Euphorie beschreiben, kommen am Ende darauf zu sprechen, dass Computer schließlich auch jene ersetzen werden, die die Gewinner der derzeitigen Automatisierungsprozesse sind: „Die Kombination von algorithmengerechter Umstellung von Geschäftsprozessen, vollständiger Digitalisierung aller Vorgänge, plus Software und Rechenleistung, um daraus Einsichten zu generieren“, könnte – so die beiden – „langfristig sogar dazu führen, fass die bisherigen Surfer auf der Welle des Optimierungs- und Effizienzwahns, die Unternehmensberater, um ihre Jobs fürchten müssen.“ (S. 259f) Wenn ein Unternehmen die bisher teuer extern eingekauften Analysen ihres eigenen Geschäfts einfach intern vornehmen können, reduziere sich das Berufsbild auf die Rolle, die heute schon oft genug der Grund für die Anheuerung von Beratern sei, „nämlich als externer Grund und Sündenbock für Entlassungen zu dienen“ (ebd.).
Kostengünstige Substitution
Ein wesentliches Merkmal der Ersetzung von Menschen durch Maschinen im Bereich nichtkörperlicher Arbeit ist für das Autorenduo die rasche und kostengünstige Substitution: Einen Menschen vor dem Computer durch ein Programm im Computer zu ersetzen erfordere keine so teuren Investitionen wie in kostenträchtige Roboter und Automatisierungstechnik: „Der Sportredakteur, der heute noch Drittligaspielberichte tippt, kann so schnell, wie es seine Kündigungsfrist erlaubt, durch Software ersetzt werden.“ (260f.) Als bereits übliche Praxis nennen Kurz/Rieger die vielen kostengünstigen bzw. sogar kostenlosen Software-Programme, die es ermöglichen, selbst Websites zu gestalten. Während dies früher Aufgabe von teuren Experten war, würden heute für die meisten Ansprüche Standard-Baukastensysteme reichen, „die der Praktikant zusammengeflickt hat“ (S. 262).
In den Mensch-Maschine-Symbiosen der Zukunft werde der Mensch häufig nur mehr die nominelle Verantwortung tragen: „Die Illusion von Kontrolle durch einen Menschen soll aufrechterhalten werden, und sei es als Träger der Versicherungspflicht, wie etwa beim selbstfahrenden Auto.“ (S. 263). Die Maschinen seien uns in schmalen Feldern schnell überlegen, weil sie auf ungleich größeren Datenmengen operieren können, weitaus schneller rechnen können und auch „nicht müde oder hungrig werden“, sie seien aber auch störanfällig und durch elektronische Attacken angreifbar. Und sie werden – so der Schluss der Autoren – in Zukunft zu noch deutlicheren Machtverstärkern, „die gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse zementieren und verschärfen können“ (S. 265). So bleibt es Aufgabe der Menschen, die Produktivitätsfortschritte durch die neuen Technologien allen zugänglich zu machen. Dies nimmt uns kein Computer ab.
Hans Holzinger
Kurz, Constanze; Rieger, Frank: Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen. München: Riemann, 2013. 286 S., € 17,99 [D] | € 18,50 [A] | CHF 25,90, ISBN 978-3-570-50155-9