Aus dem Merve Verlag kommt das Buch über „Metanoia“, das Armen Avanessian gemeinsam mit Anke Hennig geschrieben habt. Avanessian ist Philosoph, Hennig ist Literaturwissenschaftlerin. Die beiden gehen dem Phänomen nach, warum Menschen nach der Lektüre von Büchern manchmal den Satz verwenden: „Jetzt sehe ich alles anders.“ Oder: „Das Buch hat mich zu einem anderen Menschen gemacht.“ Oder: „Ich verstehe nicht mehr, was ich mir früher dabei gedacht habe.“
Kann das wirklich passieren? Macht das Sinn? Können Texte ein Leben wirklich verändern? Avanessian und Henning meinen ja, und holen zu einer umfassenden philosophischen Begründung aus. Sie nennen das Phänomen „Metanoia“.
„Spekulativer“ Realismus
In einer Metanoia werden bisherige Lektionen des Lebens überschrieben, es kommt zu einer Verschiebung im Verhältnis zum Denken und zur Welt. Metanoia ist eine fundamentale Transformation des Geistes. Die Hauptrolle kommt dabei der Sprache zu. Sie entwickelt sich „im Rahmen der Möglichkeiten, die in ihrer Verbundenheit mit Denken und Welt besteht und sich ständig verändert. Deswegen sind die Möglichkeiten eines neuen Verstehens immer auch an das Finden und Erfinden einer neuen Sprache gebunden.“ (S. 8)
Diese neue Form der Sprache macht es natürlich nicht mehr möglich, die eigenen Sätze der Vergangenheit zu verstehen, denn das Verschieben der Bedeutungen führt zur Verschiebung der Realtitäten, „Wenn tatsächlich das `Ganze´ verschoben wird, ändert sich der Sinn aller Teile. Dann ist die Vergangenheit auf einmal nicht mehr das, was war, nicht mehr das, was sie vorher war, sondern das, was als Unverstandenes zurückkommt. Unsere Formel für die nicht einfach realitätsverändernden, sondern realitätsstiftenden Effekte von Metanoia lautet: Das Vorher ist nachher ein anderes.“ (S. 9)
Das Buch ist im Umfeld einer neuen Gruppe von Philosophen erschienen, die in den vergangenen Jahren rund um den Begriff des „Spekulativen Realismus“ entstanden ist. Unter diesem Titel fand 2007 in London eine Konferenz statt. Dabei kamen Denker zusammen, die Überschneidungen in ihrem Denken in Fragen der Epistemologie und Metaphysik, der ontologischen Fundierung des Denkens und der Konstruktion spekulativer Modelle der Metaphysik aufwiesen. Was waren diese Überschneidungen?
Man arbeitet sich an der Fragestellung ab, ob es eine Realität gibt, die sich indifferent zur menschlichen Erkenntnis verhält. Diese Fragestellung ist wichtig, weil sich im Denken des Westens die Überzeugung durchsetzte, dass unsere Wahrnehmung der Realität immer durch unsere Kultur, Sprache und Geschichte kodiert ist. „Eine Welt an sich, die unabhängig von der Relation ist, die das Denken zu ihr unterhält, lässt sich nicht denken“, bringt Avanessian dieses vorherrschende Denken auf den Punkt. (S. 12)
Realismus Jetzt
Der Sammelband „Realismus jetzt“ trägt Beiträge der Denkrichtung zusammen, die mit diesem vorherschenden Postulat unzufrieden sind. Deren wichtigste Vertreter kommen dabei zu Wort: Ray Brassier, Iain Hamilton Grant, Graham Harman und Quentin Meillassoux.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist, dass die gegenwärtigen experimentellen Wissenschaften in der Lage seien, erstmals eine Welt und ein Universum zu beschreiben, das der Entstehung menschlicher Intelligenz vorausgeht. Solche Aussagen, die die Entstehung des Universums, der Welt oder des Menschen datieren, „erfordern deshalb einen spekulativen Materialismus oder Realismus“. Dass man nämlich eine Welt ohne Denken denken kann, bedeute euch, dass es ein Absolutes gibt, das nicht auf das Denken angewiesen sei (S. 13).
Der Sammelband ist starker Tobak für Leserinnen und Leser, die sich zentrale philosophische Begriffe erst aneignen müssen. Er hat aber hohe Relevanz für unser Denken.
Philosophie: Realismus
Avanessian, Armen ; Hennig,Anke: Metanoia. Berlin: Merve-Verl., 2014. 279 S., € 20,- [D], 20,60 [A}, sFr 28,- ; ISBN 978-3-88396-351-8
Avanessian, Armen: Realismus Jetzt. Berlin: Merve-Verl., 2013. 248 S, € 22,- [D], 22,70 [A], sFr 30,80; ISBN 978-3-88396-285-6