Wenn es um (Nicht-)Nachhaltigkeit geht, lenken wir den Fokus zunächst meist auf Konsum und Produktion. Simon Schaupp stellt in seinem neuen Buch die Arbeit ins Zentrum der Debatte. Laut Karl Marx ist sie es, mittels derer Gesellschaften den Stoffwechsel mit der Natur vollziehen. Schließlich müssen die privat konsumierten Güter und Dienstleistungen zunächst durch Arbeit hergestellt werden. Arbeitsprozesse haben zudem tiefgreifende Auswirkungen auf das, was wir als „Natur“ verstehen – sei es durch zerstörte Landschaften in Folge von Kohleabbau, oder Grünflächen und Wälder, die das Ergebnis land- und forstwirtschaftlicher Eingriffe sind. Um die Ursachen der ökologischen Krisen zu verstehen, sei es daher fundamental, die Arbeitswelt in den Fokus zu nehmen.
Wechselwirkung zwischen Natur und Arbeit
Anhand einer Reihe historischer Fallbeispiele zeigt der Soziologe auf, wie eng natürliche Prozesse und die Organisation von Arbeit miteinander verwoben sind. So lässt sich der Umstieg von Wasserkraft auf Kohle im 19. Jahrhundert zum einen durch die materiellen Eigenschaften der beiden Energiequellen erklären. Wassermühlen konnten nur dezentral an Flussläufen errichtet werden und erforderten eine komplexe Wasserbewirtschaftung und Absprachen zwischen den Betreiber:innen. Im Gegensatz dazu erforderte Dampfkraft keine Kooperation zwischen konkurrierenden Unternehmen. Zudem konnten kohlebetriebene Fabriken auch in Städten errichtet werden, wo ein Überschuss günstiger Arbeitskräfte vorhanden war. Dieser Umbruch hatte nicht nur ökologisch fatale Konsequenzen, sondern führte zunächst auch zu einer Entmachtung bestimmter Beschäftigtengruppen. Der mechanische Webstuhl erforderte keine spezialisierten Arbeitskräfte mehr und gab das Arbeitstempo vor. Indem die gesamte Produktion allerdings immer stärker von fossiler Energie abhängig wurde, konnten Kohlebergleute durch Streiks große Teile der Wirtschaft lahmlegen. Dieser Machthebel legte wiederum den Grundstein für die Institutionalisierung von Gewerkschaften und Arbeitsschutzgesetzen.
Neben der Autonomie der Arbeit – etwa durch Arbeitsniederlegung – betont Schaupp auch die Autonomie der Natur. Je mehr Natur nutzbar gemacht werde, desto stärker wirke sie auf die Arbeitswelt zurück. Dies zeigt sich zum Beispiel anhand von Klimawandel, Pandemien, Biodiversitätsverlust oder Bodendegradation. Da dies die Produktivität einschränkt, sind weitere Strategien der Nutzbarmachung notwendig, etwa in Form von technischen Innovationen oder einer Ausweitung der Arbeitszeit. Obwohl die Natur eine aktive Rolle spielt und ihre Auswirkungen enorm sein können, beruht die Autonomie der Natur – im Gegensatz zur Arbeit – nicht auf moralischem, bewusstem Handeln.
Plädoyer für eine lustvolle Politik der Nutzlosigkeit
Durch den globalen Temperaturanstieg geht nicht nur die Arbeitsproduktivität zurück, auch landwirtschaftliche Flächen werden in Zukunft weniger Ertrag abwerfen – wenn sie überhaupt noch bewirtschaftet werden können. Aus diesem Grund müssten wir in Zukunft deutlich mehr Arbeit aufwenden, um unsere Lebensgrundlagen sicherzustellen und uns um körperlich und seelisch beeinträchtigte Menschen zu kümmern. Vor diesem Hintergrund plädiert Schaupp für eine lustvolle Politik der Nutzlosigkeit, die sich durch neue Beziehungsweisen und eine Arbeit auszeichnet, die nicht mehr dem Produktionszweck untergeordnet ist.