Eine auf eine ExpertInnen-Kommission der Robert-Bosch-Stiftung zurückgehende Studie „Arbeitswelt 2030“ negiert Megatrends wie die Entwicklung zur „Wissens- und Informationsgesellschaft“, die Veränderung der Rohstoffsituation und Energieversorgung oder gesellschaftliche Trends wie „Sensibilisierung für Nachhaltigkeit“, „Feminisierung“, „Individualisierung“ oder den möglichen Wertewandel hin zu weniger konsumorientierten Lebensstilen nicht. Der Hauptfokus wird jedoch auf die demografischen Verschiebungen bis zum Jahr2030 gelegt, der – so die Ausgangsthese – Deutschland einen markanten Fachkräftemangel und Probleme in der Finanzierung der Renten bescheren könnte. Ausgegangen wird von einer dramatischen Verschiebung des Altersquotienten, der die Anzahl der über 65-Jährigen je 100 Personen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren, also jener im erwerbsfähigen Alter, anzeigt. Dieser werde von heute knapp 35 bis 2030 auf 50 ansteigen (100 Erwerbstätigen stehen dann 50 SeniorInnen gegenüber) und bis 2050 nochmals auf über 60 hochklettern.
Vor diesem Hintergrund werden Reformnotwendigkeiten in den Bereichen Arbeitsmarkt, Unternehmen, Sozialpartnerschaft, Bildung, Arbeitsrecht und Zukunft der sozialen Sicherung dargelegt. Drei „Politikcluster“ dienen dabei als Handlungsrahmen, deren (Wechsel)Wirkung analysiert wird: 1) die Erhöhung der Erwerbspersonen, möglich durch verstärkten Arbeitsmarktzugang hier lebender MigrantInnen, durch Erhöhung der Nettozuwanderung und/oder der Geburtenrate. 2) Erhöhung des Arbeitsvolumens, möglich durch Ausweitung der Jahres- bzw. Lebensarbeitszeit sowie durch Erhöhung der Beschäftigungsquoten (Verringerung der Arbeitslosigkeit, Verringerung des Teilzeitangebots, Erhöhung der Erwerbsbeteiligung). 3) Steigerung der Arbeitsproduktivität, möglich durch die Erleichterung von Höherqualifizierung, Verbesserung der Arbeitsorganisation und des Lebenslangen Lernens sowie eine Steigerung der Innovationsproduktivität der Unternehmen (Zusammenfassung S67f).
Rolle von Bildung
Exemplarisch sei auf die geforderten Anstrengungen im Bereich Bildung eingegangen, denen eine wichtige Funktion zugesprochen wird. Kritik üben die AutorInnen dieses Kapitels an den nach wie vor bestehenden sozialen Ungleichheiten in Bezug auf Bildungschancen. Von bildungsbezogenen Risiken für Heranwachsende wird dabei gesprochen, wenn beide Elternteile nicht mindestens einen Sekundar-II-Abschluss haben, was derzeit auf 12 Prozent der deutschen Bevölkerung zutreffe. Da „Gelegenheitsstrukturen“ und „Verwertbarkeitsaspekte“ eine entscheidende Rolle hinsichtlich Aufnahme von Weiterbildungsaktivitäten haben, sei die Erwerbstätigkeit sowie die Bildungsförderung am Arbeitsplatz ein wesentlicher Faktor für den Bildungszugang. Der überproportional hohe Anteil von MigrantInnen-Kinder in von sozialen und finanziellen Risiken betroffenen Gruppen stelle, so die AutorInnen, eine spezielle Herausforderung an das (Weiter)-Bildungssystem in den nächsten Jahrzehnten dar.
Frauen hätten, so ein weiteres Ergebnis, hinsichtlich Bildungsniveau mit den Männern mittlerweile gleichgezogen (z.B. bei Hochschulabschlüssen), Frauen der jüngeren Altersgruppen blieben bereits seltener ohne Berufsabschluss als junge Männer, Mädchen wiesen bedeutend weniger Lese- oder Schreibschwächen auf als Burschen. Doch gelänge es Frauen nach wie vor weniger, höhere Bildung in mehr ökonomische Vorteile („Bildungsrendite“) zu transferieren, wofür strukturelle Gründe ins Treffen geführt werden. Gefordert werden noch mehr und bessere Kinderberteuungseineinrichtungen; zum einen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherzustellen, zum anderen aber auch, um Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und Kinder mit Migrationshintergrund bessere Startchancen zu geben, da eben in diesen Einrichtungen auch Bildungsprozesse stattfänden.
Allein aufgrund der steigenden Zahl höher qualifizierter Beschäftigter in der Wissensgesellschaft bzw. der wissensbasierten Ökonomie sei in Zukunft mit einer Zunahme der Weiterbildungsteilnahme zu rechnen, so eine weitere Thesen der StudienautorInnen, die von einer „veränderten Rhythmisierung von Bildungszeiten“ aus gehen. Nicht mehr die Abfolge Ausbildung – Beruf – Ruhestand werde die Bildungszeiten bestimmen, sondern eine viel stärkere Verteilung von Bildungsaktivitäten auf alle Lebensphasen. Gründe seien die sich rascher verändernden Leistungsanforderungen in der wissensbasierten Ökonomie, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die sich kaum ohne verstärkte Weiterbildungsaktivitäten realisieren lasse, der Anstieg des durchschnittlichen Bildungs- und Qualifikationsniveaus in der Bevölkerung, der auf mittlere Sicht mit einem Anstieg der Weiterbildungsbeteiligung auch in höheren Altersgruppen einhergehe, sowie schließlich neue Bildungsaktivitäten in der nachberuflichen Phase. Voraussichtlich werde das für Bildung aufgewendete Zeitvolumen zunehmen – bei wachsenden Anteilen non-formaler Bildung und informellen Lernens.
Neue Lernumgebungen
Ein weiterer Befund: Aufgrund des demografischen Wandels wird sich der „Innovationsmechanismus“ vom „Generationenaustausch“ zum „Weiterbildungsbedarf für die bereits Erwerbstätigen“ verschieben. Die Unternehmen müssten vermehrt Lernumgebungen gestalten, in denen Lernen und Arbeit miteinander verknüpft sind. „Neben den klassischen Seminaren werden individualisierte kurze Lernangebote benötigt.“ (S. 116) Informelle Lernprozesse und damit auch ihre Zertifizierung gewinnen dadurch an Bedeutung. Drittens bedürfe es einer besseren Angebotsverzahnung zwischen formaler und non-formaler Bildung. Insbesondere bräuchten Unternehmen „neue Formen wissenschaftlicher Weiterbildung, welche die Erfahrungen der Beschäftigten mit neuen Wissensbeständen verknüpfen und für ältere Erwerbstätige attraktiv sind“. (S. 113) Eine Folge davon ist laut AutorInnen der Wandel im Verständnis von Universitäten und Hochschulen, die neben Erstausbildungen immer stärker auch Weiterbildungen anbieten müssten: „Die Zuschneidung des Studiums auf eine altersmäßig und von den biografischen Voraussetzungen eng definierte Gruppe löst sich mehr und mehr zugunsten eines alterspluralen Verständnisses von Hochschule und Studium auf, bei dem die frühere Differenzierung zwischen Erststudium und weiterbildendem Studium fließend wird.“ (S. 116) Generell könnte, so ein Fazit der Studie, die Deckung des zusätzlichen Bedarfs an Fachkräften in Zukunft nur gelingen, wenn die „kumulativ aufgebauten Qualifizierungsversäumnisse“ überwunden werden. Zitat: „Insbesondere in der beruflichen Weiterbildung muss die Beteiligung älterer und geringqualifizierter Personen sowie von Personen mit Migrationshintergrund massiv erhöht werden.“ (S. 120)
Unterbelichtet bleiben– so das Resümee des Rezensenten – die wohl benannten Herausforderungen der Rohstoffverknappung und Energieversorgung zum einen sowie eines möglichen Wertewandels hin zu postkonsumistischen Lebensstilen andererseits, die auch eine Zukunftsperspektive mit (bedeutend) weniger Erwerbsarbeit in einer Postwachstumsökonomie (exemplarisch Paech 2012) möglich bzw. nötig machen könnten.
Hans Holzinger
Arbeitswelt 2030. Trends, Prognosen, Gestaltungsmöglichkeiten. Hrsg. v. Jutta Rump u.a. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2013. 185 S. € 29,75 [D], 30,60 [A], CHF 40,50 ISBN 978-3-7910-3275-7
„Kindheit und Jugend sind als Entwicklungs- und Lebensphasen für lebenslanges lernen deshalb von zentraler Bedeutung, weil hier die entscheidenden Motivationen und Kompetenzen für die Teilnahme an späteren Bildungs- und Lernaktivitäten aufgebaut werden.“ (Seeber u.a.S. 115)