Die Zeit als Grundkonflikt des Menschen

Ausgabe: 1988 | 4

Die Zeit ist die umfassendste symbolische Form, die der Mensch je erfunden hat. Sie ist wesentliches Merkmal einer jeden Gemeinschaft. Rifkin schildert, welche Rolle dieser Faktor für den Menschen spielt. Er kritisiert das gegenwärtige Effizienz- und Geschwindigkeitsdenken und fordert einen grundsätzlichen Wandel im menschlichen Zeitbewußtsein. In Analogie zu dem Wertewandel von "Größer ist besser" hin zu "small is beautiful" beginnen jetzt die "Zeitrebellen", einen anderen Zugang Zur Zeitlichkeit zu bereiten. "Sie wollen von uns verlangen, daß wir aufhören uns mit der Beschleunigung der Zeit zu befassen, und beginnen, uns wieder in die periodischen Abläufe zu integrieren, aus denen die vielen physiologischen Zeitwelten des Organismus Erde bestehen."

Um unsere modernistische Einstellung zur Zeit überdenken zu können, beschreibt der Autor eindrucksvoll den Weg von der Entstehung des Zeitbegriffs bis zur Nanosekunden-Kultur des Computerzeitalters. Wichtig ist ihm dabei die zeitliche Dimension des politischen Prozesses. Seit der Erfindung der Zeit ist sie von den Mächtigen dazu benutzt worden, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Lebensrhythmen zu diktieren. Die soziale Ordnung wird mit Zeitverteilungsmechanismen wie Kalender, Zeitplan und Programmen aufrechterhalten. Als Gegenleistung für die Zeitbeschränkung wird uns von den Machthabern eine paradiesische Zukunft versprochen. Die Sehnsucht nach dem "anders und besser" wird zur Aufrechterhaltung des Status quo benutzt. Die in der westlichen Kultur durch Religion und Politik institutionalisierten Zukunftsbilder werden nunmehr im Zeitalter der "Computopie" von simulierten Zukunftsvisionen abgelöst. Anstelle der materialistischen Vision des Fortschritts bietet man nun eine computergerechte.

Rifkin fordert dazu auf, diese Gaukelei der Mächtigen nicht widerstandslos hinzunehmen. Vielfach geht es um die innere Geschwindigkeit und das Zeitmaß der natürlichen Welt zu akzeptieren. Wichtiges Anliegen in dieser Richtung ist ihm die Demokratisierung der Zeit in dem Sinn, daß jedermanns Zeit gleich wertvoll ist. Um jedoch zur Neuwertung der Zeit als Voraussetzung für die Neuwertung des Lebens zu gelangen, sind den künstlichen Abläufen der "Hochgeschwindigkeitskultur die organischen Rhythmen der Natur in einem Überblick über das neue Wissensgebiet "Chronobiologie" entgegenzustellen. Über allem steht für Rifkin jedoch die Frage, was wir von unserer Zukunft wollen.

Die zwangsweise vorgegebene Zeiteinteilung hat zwar eine alte Tradition (von der Sonnenuhr über die Mondzeit bis zu Digitalanzeigen), steht aber keineswegs im Einklang mit dem Biorhythmus des Menschen. Wir stecken alle in einer 'Zeitmühle", aus der wir uns nur schwer befreien können. Interessante Aspekte zum Phänomen "Zeit" eröffnet Heinz Haber (vgl. dazu PZ 4/87*184) und Stratis Karamanolis: Phänomen Zeit. Über den Umgang mit Zeit und der Nichtexistenz einer absoluten Zeit sowie das individuelle Zeitmaß berichtet: Hawking. Stephen W.: Eine kurze Geschichte der Zeit. Auszug in: Dokument +Analyse. 17.Jg. (1988), Nr. 10, S.57-59. . Daß wissenschaftlich komplizierte Themen, fesselnd dargeboten, auch für die Allgemeinheit von großem Interesse sind, beweist die Tatsache, daß Hawkings Buch, in deutscher Sprache bei Rowohlt erschienen, ein Bestseller ist.

Rifkin, Jeremy: Uhrwerk Universum. Die Zeit als Grundkonflikt des Menschen. München: Kindler, 1988. 3178. DM 36,-/sfr 30,50/ö5 280,80