Teresa Bücker

Alle_Zeit

Ausgabe: 2023 | 4
Alle_Zeit

Zeitmangel ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Diese These steht im Zentrum des Buches „Alle_Zeit“. Darin beschäftigt sich die Journalistin Teresa Bücker umfassend mit unserem gesellschaftlichen Umgang mit Zeit und mit den damit verbundenen Problemen in den Bereichen Erwerbsarbeitszeit, Care, Freizeit, Kinder und politisches Engagement.

Erwerbsarbeit dezentrieren

Im Zentrum unserer Zeitkultur stehe die Erwerbsarbeit, der sich andere Lebensbereiche unterordnen müssten. Meist akzeptieren wir unhinterfragt, dass der größte Teil des Tages mit Erwerbsarbeit ausgefüllt ist, während anderen Tätigkeiten und Bedürfnissen weniger Zeit zusteht.

Menschen, die viel Zeit für bezahlte Arbeit aufwenden können, gälten zudem als gesellschaftlicher Maßstab. Höhere Erwerbs- und Vollzeitquoten sind nicht nur ein arbeitspolitisches Ziel, sondern auch erstrebenswert aus Sicht vieler Feminist:innen. Allerdings, so Bücker, stärke dieser Fokus auf Erwerbsarbeit „die Maßstäbe, die auf männlichen und kapitalistischen Lebensentwürfen basieren, und [wir] versäumen, eigene Ideen vom guten Leben zu entwickeln“ (S. 53). Die Strategie, Emanzipation primär über beruflichen Erfolg anzustreben, entwerte andere Lebensentwürfe und verschärfe zudem die Zeitknappheit in Familien. Denn solange Männer nicht weniger Zeit mit bezahlter Arbeit verbringen, bedeutet ein Vollzeitjob für Frauen, die weiterhin den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten, meist eine noch höhere Arbeitslast. Die Auslagerung von Hausarbeit auf bezahlte Dienstleister:innen, wie Putzkräfte, ist für Bücker keine akzeptable Lösung, da sie schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse befördere und zu einer weiteren Segmentierung der Gesellschaft beitrage. Nötig wäre also eine Arbeitszeitverkürzung, die nicht nur eine gerechtere Verteilung von Erwerbsarbeitszeit, sondern auch von unbezahlter Care-Arbeit, politischer Teilhabe und Freizeit ermöglichen würde.

Freie Zeiten

Gewöhnlich unterteilen wir unsere Zeit grob in Arbeitszeit und Freizeit. Doch diese simple Zweiteilung werde der Komplexität unserer Zeitnutzung nicht gerecht, findet Bücker. Denn auch außerhalb von Erwerbsarbeit ist nicht alle Zeit frei verfügbar. Neben Hausarbeit und der Betreuung anderer gibt es eine Reihe an Tätigkeiten, die nicht unbedingt notwendig sind, zu denen wir uns allerdings verpflichtet fühlen: „Sport zu machen, um ein Körper- oder Gesundheitsideal zu erreichen, […] die Nachrichten zu verfolgen, um im Freundeskreis mitreden zu können, […] oder die Schwiegereltern zu besuchen, weil man es bislang jeden Sonntag so gemacht hat“ (S. 191). Zeiträume, die wir frei und selbstbestimmt gestalten können, kommen dabei oft zu kurz oder sind stark fragmentiert. Denn um Zeit sinnvoll nutzen zu können, bräuchten wir längere zusammenhängende Zeiteinheiten. Vor allem Frauen haben weniger hochwertige Freizeit, da sie öfter von Care-Aufgaben unterbrochen werden.

„Dass wir über einen großen Teil unserer Zeit nicht frei verfügen können, ist nicht naturgegeben, sondern veränderbar“ (S. 189), schreibt Bücker. Der Kampf um mehr Zeitwohlstand dürfe jedoch nicht auf individueller, sondern auf gesellschaftlicher Ebene stattfinden. Nur so könne eine zeitgerechte Gesellschaft entstehen.