Was heißt es für uns, wenn eine Künstliche Intelligenz, oder besser: künstliche Vernunft, einen Text erzeugen kann, der nicht länger von einem von Menschen verfassten unterscheidbar ist? Jörg Phil Friedrich widmet sich in seinem Buch „Degenerierte Vernunft“ im Kern dieser prominenten Frage, allerdings auf eine Art und Weise, die überrascht. Er rückt den Menschen in den Fokus und versucht die Hintergründe seiner Natur, Vernunft und Intelligenz aufzuzeigen.
Diesem Fokus liegt aber nicht zugrunde, Künstliche Intelligenz zu diffamieren. Tatsächlich konfrontiert uns Friedrich bereits in seinem ersten Kapitel mit einer entzauberten Darstellung des Menschen. Er beschreibt KI als ein Instrument, welches menschliches Vermögen in manchen Bereichen schlichtweg übersteigt. So wie ein Kran schwerer heben kann als ein Mensch, werden KIs in ihren zugeschnittenen Sparten Menschen übertrumpfen. Nachdem dieser gefühlte Hoheitsverlust aber für uns so erschreckend scheint, versucht Friedrich ein besseres Selbstverständnis des Menschen aufzubauen, wobei er konkret nach den Unterschieden zwischen Natürlichkeit/Künstlichkeit und Vernunft/Intelligenz fragt.
Zur Klärung dieser Begriffe beschäftigt sich Friedrich, wie mehrmals in diesem Buch, mit den Worten selbst. Er kommt zu dem Schluss, dass wir Natürlichkeit mit einer ursprünglichen Form verbinden, während etwas als künstlich gilt, sobald die natürliche Form beeinflusst wird. Vernünftig ist für ihn eine Handlung, wenn sie begründbar ist, während Intelligenz darüber hinausgeht. Diese Erkenntnisse bewegen ihn zu einer Reflexion: Sind wir vernünftig und ist KI wirklich intelligent?
Diese Frage leitet das Resümee dieses Buches ein, in welchem Friedrich identifiziert, dass wir KI nur deshalb als intelligent beschreiben, weil wir selbst einer „degenerierten Vernunft“ unterliegen. Wir haben über die Technisierung und Identifizierung von Regeln angefangen, Vernunft mit Logik gleichzusetzen. Dementsprechend kommt uns KI intelligent vor, weil sie Logik über unsere Maße anwenden und ausführen kann. Tatsächlich entspricht natürlicher Vernunft aber vielmehr der Prozess eines Sinnierens, und Intelligenz ist nichts anderes als ein Ausleben von Kreativität. Nachdem KI aber weder natürlich sinniert noch wahrlich kreativ ist, wäre es wohl ganz im Sinne des Autors, die anfangs angedeutete Beschreibung von künstlicher Vernunft der von Künstlicher Intelligenz vorzuziehen.