Jeremy Rifkin

Das Zeitalter der Resilienz

Ausgabe: 2023 | 1
Das Zeitalter der Resilienz

Abermals bemüht Bestsellerautor Jeremy Rifkin das Bild eines epochalen Wandels als Titel seines neuen Buches. Das ist nicht bloß geschicktes Buchmarketing, wie Kritiker meinen. Immer bringen Rifkins Bücher Zeitströmungen auf den Begriff. Nicht im Sinne einer Prognose. Sondern als Entwurf einer möglichen Zukunft.

Das gilt auch für sein neuestes, das im Übrigen die Proklamation einer Epochenwende auf die Spitze treibt: Ein Begriff, der vor ein paar Jahren noch nicht einmal im Fremdwörterduden zu finden war, gewinnt nun prägende Kraft für ein neues Zeitalter: Resilienz. „Das Zeitalter des Fortschritts ist zu Ende und das Zeitalter der Resilienz bricht an. Alles, was wir zu wissen meinten, was wir glaubten und auf das wir uns verlassen haben, gilt nicht mehr. Wir stehen am Beginn einer neuen Reise, auf der wir neu über unsere Spezies und ihren Platz auf der Erde nachdenken müssen und die Natur unsere Schule ist“, schreibt Rifkin (S. 11). Und entwickelt in einer umfassenden Perspektive eine Vision, wie es der Menschheit gelingen kann, die globale Krise, für die der Klimawandel steht, zu bewältigen. Die drei Schlüsselkonzepte dabei: Resilienz, Biophilie und Lernen von der Natur.

Der Reihe nach. Der Begriff der Resilienz stammt ursprünglich aus der Psychologie. Er bezeichnet die Fähigkeit, sich von persönlichen Rückschlägen zu erholen und seine Autonomie zurückzugewinnen. Er hat dann Eingang in ganz unterschiedliche Disziplinen gefunden. Rifkin erweitert den Horizont. Seine Herleitung der Resilienz aus der ökologischen Systemforschung entwickelt ein dynamisches und systemisches Verständnis. Dieses wendet sich gegen eine statische Deutung von Resilienz als Fähigkeit eines Systems, auf eine Störung widerstandsfähig zu reagieren und zum ursprünglichen Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Doch „Resilienz bedeutet nie eine Rückkehr in einen früheren Zustand“, so Rifkin (S. 197). Sie dürfe keinesfalls als Zustand begriffen werden, „sondern als Werden oder Handeln, das auf die Welt wirkt“ (S. 197). Als Fähigkeit zur Anpassung.

Anpassungsfähigkeit steht im Mittelpunkt eines grundlegenden Umbruchs in Reaktion auf Klimawandel, Artensterben und Pandemien als Anzeichen einer zunehmend instabiler werdenden, einer „verwildernden Erde“ (S. 204). Dies erfordere eine vollständige Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft – einen „Wechsel von Effizienz zu Anpassungsfähigkeit, Fortschritt zu Resilienz, Produktivität zu Erneuerbarkeit, externen Effekten zu Kreislaufwirtschaft, Eigentum zu Zugang und Bruttoinlandsprodukt zu Lebensqualität“ (S. 252). Hatte Rifkins letztes Buch Der globale Green New Deal (2019) noch den Anschein erweckt, eine dritte industrielle Revolution sei die Lösung der Klimakrise, wird nun deutlich, dass diese nur ein Baustein sein kann. Rifkin geht es um ein neues Weltverständnis, einen großen Paradigmenwandel im Denken. Weit ausholend umreißt er die Entwicklung unseres Denkens seit Descartes’ folgenschwerem Fehlschluss, das eigene Denken zum Ausgangspunkt des Weltverständnisses zu machen. Rifkins radikale Gegenposition heißt: Lernen von der Natur. Die Natur ist unsere Schule, das ist die wohl wichtigste Lehre seines Buchs.

Zwei weitere: Rifkin erklärt, wie die klassische Wirtschaftslehre basierend auf einem mechanistischen Weltverständnis und fixiert auf Effizienz den Klimawandel ignorierte. Und er zeigt, wie ein neues Verständnis des Menschen und seiner Rolle in der Welt zumindest die Chance eines Auswegs eröffnet. Wir müssten „das Leben auf der Erde und unseren Platz auf ihr ganz neu denken“, fordert Rifkin (S. 146). Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeichneten ein neues Bild des Menschen wie des Lebens insgesamt. Ein Bild, in dem alles miteinander verbunden und alles im Fluss ist. Es entstehe „ein immer komplexeres Verständnis des Lebens“ und eine „neue Geschichte der Evolution“ (S. 189 und 147). Mit diesem neuen Paradigma rückt die Verbundenheit allen Lebens auf der Erde in den Blickpunkt.

Basierend auf systemischer Anpassungsfähigkeit ist diese neu erkannte Verbundenheit der Schlüssel, der die Möglichkeit einer Zukunft eröffnet: „Wenn die Menschheit eine Zukunft haben soll, dann hängt diese vor allem davon ab, dass wir als Art zusammenfinden, die sich einer Bedrohung nicht nur ihrer eigenen Existenz gegenübersieht, sondern auch der ihrer Mitlebewesen, die mit uns auf diesem Planeten leben und denen wir auf eine Weise verbunden sind, die wir erst ganz allmählich verstehen.“ Die empathische Zivilisation war die Vision, die Rifkin vor zwölf Jahren vorgestellt hat. Nun erweitert er diesen Gedanken hin zur Biophilie: die „Ausweitung der Empathie auf die gesamte Natur“ (S. 307). Rifkin lässt sein Buch mit einer „mitfühlenden Revolution“ (S. 289) ausklingen. Er bietet aber auch ein konkretes Modell an, wie sich dieses neue Paradigma in unsere Lebenswirklichkeit transferieren ließe: Bioregionalismus plus eine partizipative Ausweitung der Demokratie: Bürger:innen werden zu Mitwirkenden, die Verantwortung für ihren bioregionalen Bezugsraum übernehmen - als Zugang und Teilhabe verstandene Freiheit, dort, wo man lebt. Eine große Erzählung konsequent zu Ende gedacht.