Yanis Varoufakis

Ein anderes Jetzt

Ausgabe: 2022 | 2
Ein anderes Jetzt

Yanis Varoufakis ist bekannt als ehemaliger griechischer Finanzminister, der versuchte, der Troika aus IWF, EZB und Europäischer Kommission zu trotzen. Und er ist bekannt für Sachbücher. Nun hat er sich als Romanautor versucht.

Ein Ich-Erzähler namens Yango Varo trifft im Jahr 2035 auf einer Beerdigung alte Bekannte wieder und bekommt ein Tagebuch der Verstorbenen, das er nun nacherzählt. Ein Nerd namens Costa hat eine Maschine gebaut, die es Millionen Menschen ermöglichen kann, gleichzeitig dieselbe virtuelle Welt zu bevölkern, aber ihre wechselseitigen Interaktionen unterschiedlich zu erleben. Eine Art Automat für Nebenrealitäten, der es jedem ermöglicht, in der Welt zu leben, in der alle seine Träume wahr wurden.

Beim Tüfteln geht diesem Costa aber leider etwas schief. Die Folge: Es öffnet sich ein Verbindungsfenster zwischen der realen und den alternativen Realitäten, durch die Nachrichten ausgetauscht werden können. Yango Varos Freunde erfahren so von einer Welt, die nach der Finanzkrise 2008 einen entschieden anderen Weg ging. Koordiniert vorgehende Aktivist:innen, eine „Ossify-Wallstreet-Bewegung“, brachten durch Boykotte und geschickte Manöver die Aktienmärkte, das Bankenwesen, das gesamte kapitalistische Finanzsystem zu Fall und bauten eine Gesellschaft auf, die zwar nicht perfekt ist – das Patriarchat zum Beispiel behauptet seine Macht –, deren faire Balance zwischen Leistungsprinzip und Umverteilung aber letztlich sogar Anhänger der Märkte überzeugt. Betriebe werden von den Belegschaften demokratisch geführt, Finanzmärkte dienen sinnvollen Investments, das Wirtschaftsprodukt wird verteilt, etwa durch einen Treuhandfonds für jedes Baby. „Korposyndikalismus“ nennt Varoufakis dieses neue Wirtschaftssystem.

Viele Linke fordern zwar die Abschaffung des Kapitalismus, sagen aber nicht, wie dies gehen und was dann kommen soll. Varoufakis versucht genau das. Er beschreibt, warum die gegenwärtigen Finanzmärkte und das allein auf Profitmaximierung ausgerichtete kapitalistische Wirtschaftssystem zerstörerisch sind. Mit dem Kunstgriff eines Romans, der freilich immer wieder in lange Sachmonologe der Figuren mündet, versucht er, den Weg in eine Alternative zu beschreiben. Das ist verdienstvoll, auch wenn es einiges an Geduld verlangt, den Mono- und Dialogen zu folgen. Ein Sachbuch hätte es wohl doch besser auf den Punkt gebracht.