Minouche Shafik

Was wir einander schulden

Ausgabe: 2022 | 2
Was wir einander schulden

Minouche Shafik ist Direktorin der London School of Economics. Das LSE hat in den vergangenen Jahrzehnten gesellschaftliche Debatten immer wieder beeinflusst. Shafik sieht sich in dieser Tradition, wenn sie das Buch Was wir einander schulden vorlegt. Darin skizziert sie einen neuen Gesellschaftsvertrag, der nötig geworden sei, weil sich immer mehr Menschen von den bestehenden Ordnungen betrogen fühlen; das System funktioniere für sie nicht mehr.

Die gesellschaftliche Ordnung muss jetzt neu diskutiert werden

Shafik ist der Auffassung, dass es zwei Entwicklungen waren, die zur Notwendigkeit geführt haben, jetzt die gesellschaftliche Ordnung von Grund auf neu zu diskutieren. „Am Ende des 20. Jahrhunderts waren die technologischen Entwicklung und die sich wandelnde Rolle der Frauen die beiden Haupursachen dafür, dass der bestehende Gesellschaftsvertrag unter Druck geriet.“ (S. 47) Das Internet und die gewaltigen Containerschiffe senkten Kosten für Transport und Kommunikationen und ermöglichten die Globalisierung mit ihren Verlagerungen von Produktionsstätten. Daneben führt die massive Zunahme der Bildung für Mädchen und der Zahl der Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu Druck auf die Politik. Diese werde vermehrt dazu gezwungen, Wege zu finden, wie sie alle diese ausgebildeten Fähigkeiten nutzbringend einsetzt.

Nach diesen beiden Veränderungen stehen schon die nächsten drei großen Herausforderungen an. Die Alterung der Gesellschaft erzwingt Anpassungen in vielen Bereichen, das gilt insbesondere für die Altersfürsorge. Die neuen Technologien, wie künstliche Intelligenz, werden (zweitens) vor allem Hochqualifizierten und Menschen in urbanen Räumen nützen. Siedelten sich Industrieunternehmen des 20. Jahrhunderts zunehmend in Ländern mit billigen Arbeitskräften an, so suchen die Technologieunternehmen heute die Nähe zu den Hochqualifizierten und ihren Ausbildungsstätten. (S. 54) Schließlich, drittens, sieht Shafik auch den Klimawandel als neue Herausforderung für den Gesellschaftsvertrag.

Drei Prinzipien für den Strukturwandel

Shafik legt drei Prinzipien fest, die für den Umgang mit diesen Wellen an Herausforderungen dienen sollen. „Erstens, dass jedem das Minimum garantiert werden sollte, das notwendig ist, um ein würdiges Leben zu führen. […] Zweitens sollte von jedem erwartet werden, dass er oder sie so viel wie möglich zum Gemeinwohl beiträgt und dafür die maximalen Chancen erhält durch lebenslange Weiterbildung, späteren Ruhestand und öffentliche Beihilfe zur Kindererziehung, sodass Frauen arbeiten können. Drittens sollte ein Mindestmaß an Schutz vor bestimmten Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter von der Gesellschaft übernommen werden, anstatt sie Einzelnen, den Familien oder Arbeitgebenden aufzubürden.“ (S. 57f.)

Auch vor der Kostenfrage, die zur Finanzierung eines neuen Gesellschaftsvertrags anfallen würden, drückt sich die Autorin nicht. „Der Ausbau der öffentlich geförderten Kinderbetreuung, der frühkindlichen Bildung und des lebenslangen Lernens würde mehr Ausgaben erfordern, ebenso die Einführung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und einer staatlichen Mindestrente. Aber einige dieser Ausgaben sind Investitionen und würden in der Zukunft höhere Steuereinnahmen generieren […] oder einen Nettonutzen bringen, wenn sie richtig gemessen werden – zum Beispiel für die Umwelt“ (S. 258f.).