18 Antworten auf die Frage nach dem Glück

Ausgabe: 2012 | 1

Aufgabe der Philosophie ist es nicht, die Welt oder, bescheidener formuliert, das Wesen des (Un-) Glücks verbindlich zu erläutern. Gelingt es ihr, gehaltvolle Antworten auf substanzielle Fragen zu geben, so ist manches schon erreicht. „Wie viel Nachdenken, wie viel Reflexion, wie viel Philosophie verträgt das wirkliche Glück?“, fragt Herausgeber Siegfried Reusch einleitend (S. 7), um dem erwartungsvollen Leser wenig später weder „blutleere Wissenschaft“ noch eine „Theologie der Letztbegründungen“ in Aussicht zu stellen, denn „zum Glück gehören die vielfältigen Gelüste des Körpers, auch die am eigenen Körper, ebenso wie die des Geistes“ (S. 8). 18 vorwiegend knapp gehaltene, essayistische Erkundungen, überwiegend von namhaften VertreterInnen der akademisch etablierten Philosophie sowie einigen ausgewiesenen Alltagsexperten dargelegt, bieten hier vielfältige, auch unerwartete Annäherungen an das, was Glück (oder auch sein Gegenteil) bedeuten kann. In Glückstheorien der Antike (exemplarisch skizziert an Aristoteles, Epikur und der Stoa) sieht M. Forschner „das Wetteifern mit dem Glück der Götter im Rahmen des Menschenmöglichen“ als verbindendes Element. Selbst Sisyphos und Zarathustra seien als aus Perspektive eines linearen bzw. zyklischen Weltbilds mythische Repräsentationen des Glücks, argumentiert Annemarie Pieper; Rüdiger Safranski erläutert die Faszination, die Nietzsche dem Ungeheuren in Form von Leid und Schrecken als „dionysischem Untergrund des Lebens“ zuschrieb. Denn Glück, so Nietzsche, würde im Aufbäumen gegen die Demütigung durch körperlichen oder geistigen Schmerz erfahren. Dem Wesen des Unglücks widmet sich auferhellende Weise Stefan Gammel, indem er „Anleitungen für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis“ bereithält, dar-unter auch die folgende: „Stecken Sie sich Ziele, hohe Ziele, die zu erreichen eine beträchtliche Anzahl möglichst mühseliger Zwischenschritte erfordern. Machen Sie sich bewusst, wie vergeblich, leer und wertlos alle unternommenen Bemühungen waren, wenn das Endziel nicht erreicht wird, fühlen Sie, wie solchermaßen sinnlos ein Großteil des Lebens vergeudet wird. Meisterlich, wem es gelingt, das Ziel, sollte es doch einmal erreicht werden, als fad, leer und der Mühen nicht wert vorzufinden.“ (S. 53) Weitere Beiträge sind dem Zusammenhang von Glück und Faulheit (Geodart Palm), dem Glück im Ernst des Lebens (Regina Ammicht Quinn) oder – in unserem Zusammenhang natürlich immer ein Thema – der Rolle des Geldes auf der Spur. Dieses sei, so Edgar Dahl, im Übrigen weit besser als sein Ruf, was er mit vier Theoremen aus der Glücksforschung (subjektives Wohlbefinden, Anpassungsprinzip, Relativität des Einkommens und der schon erwähnten hedonistischen Tretmühle) zu beweisen trachtet. Einen weiteren bedenkenswerten Aspekt steuert der Romancier und Essayist Pascal Bruckner bei. Er versammelt Indizien dafür, dass sich „das Glück in der modernen Welt von der flüchtigen Fortuna und paradiesischer Glückseligkeit zum unerbittlichen Schergen gewandelt hat, der uns mit goldener Peitsche über die Rennbahn des Lebens zu immer neuen Höchstleistungen treibt“ (S. 97). Weniger metaphorisch formuliert weist Bruckner darauf hin, dass wir nunmehr gezwungen sind, Glück(lich-Sein) permanent zu mimen. „Je mehr sich [jedoch] das Glück als alleiniges, universelles Lebensziel aufdrängt, desto mehr entleert es sich seines Inhalts. Die Unklarheit seiner Botschaft ist zugleich sein Fluch und seine Stärke.“ (S. 100) Dem Pech als der penetranten, uns für gewöhnlich weit eher vertrauten Kehrseite des Glücks, widmet Rüdiger Vaas nachhaltig Bedenkenswertes. Als „geradezu allgegenwärtiges Alltagsphänomen ist es stets inhaltsbezogen und subjektabhängig“ bestenfalls „verringerbar, aber nicht verhinderbar“, und als „Prinzip des unzureichenden Grundes“ hat es Robert Musil gar als weltgestaltend angesehen, denn im Leben „geschieht immer das, was eigentlich keinen rechten Grund hat“ (vgl. S. 111). Herbert Marcuses Vision von der Befreiung des Glücks (Otto-Peter Obermeir), Reflexionen zur Dichotomie von Lebenskunst und Ethik (Ferdinand Fellmann), Gedanken über den „Tiefseetaucher des Schreckens“ E. M. Cioran als „Weltverächter und Überlebenskünstler“ (Richard Reschika) und Ausführungen zum Zusammenhang von Glück und Kitsch (Jutta Heinz) führen schließlich zu einem Beitrag von Reinhold Messner, für den selbst „die Eroberung des Nutzlosen“ einen Akt der Sinnfindung darstellt und der selbst im Scheitern noch Aspekte des Glücks ausnimmt: „Auf dem Gipfel angekommen zu sein bedeutet, es geschafft zu haben, mehr nicht. Das Ziel ist damit verschwunden. Mit dem Scheitern bleibt das Ziel. Die Verzweiflung darf folgen als das Begreifenwollen des Scheiterns, als das Fassen der eigenen Grenze.“ (S. 174). Zwei Interviews (das eine mit Starkoch Vinzent Klink [zur Kritik der kulinarischen Vernunft], das andere mit dem Philosophen Günther Bien runden dieses Kaleidoskop von Glückserkundungen ab. Ein Band, der Vieles tangiert, in der gebotenen Kürze der Beiträge aber Vieles nur andeutet. Positiv gewendet: eine Einladung, auf den verschlungenen Wegen zum Glück weitere Erfahrungen zu sammeln. W. Sp.

 

18 Antworten auf die Frage nach dem Glück. Ein philosophischer Streifzug. Hrsg. v. Siegfried Reusch. Stuttgart, S. Hirzel, 2011. 232 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 33,80 ; ISBN 978-3-777621432