Auf der Suche nach dem Glück

Ausgabe: 2012 | 1

Spätestens seit der Jahrtausendwende hat sich die Glücksforschung als interdisziplinäre Disziplin etabliert und breites öffentliches Interesse gefunden. Die Internetplattform „amazon.de“ verzeichnet zum Stichwort „Glück“ mehr als 1500 deutschsprachige Titel, und selbst universitäre Ringvorlesungen, die sich dem Thema widmen, können mit breiter Resonanz rechnen. Erhellendes zum Thema versammelt auch der hier angezeigte Band, in welchem in erster Linie Ergebnisse einer interuniversitären und interdisziplinären Ringvorlesung 2009/2010 im Rahmen des Schwerpunkts „Wissenschaft und Kunst“ an der Universität Salzburg dokumentiert sind. Dabei ging es darum, so die Herausgeber, „die verschiedensten Orte, an denen die Menschen ihr Glücklich- oder Unglücklich-Sein im Alltag erfahren, sowie die diversen Rahmenbedingungen für die Möglichkeit und die verschiedenen Facetten der Wirklichkeit des Glücks näher zu beleuchten“ (S. 8). Wie Emmanuel J. Bauer einleitend feststellt, sind die Versprechen umfassenden Glücks gegenwärtig ebenso unzählbar wie vielfältig – vom Versprechen imaginärer Wirklichkeiten, materieller Erfüllung, körperlicher Ertüchtigung oder spiritueller Vertiefung mag da gleichermaßen die Rede sein –, und doch werden dabei eine Reihe von Paradoxien offenkundig. Denn einerseits fällt es schwer, das Wesen des Glücks genauer zu fassen noch sind, trotz allen Bemühens, nur wenige Menschen dezidiert glücklich: Laut einer Bertelsmann-Umfrage aus dem Jahr 2007 hielten sich von 1004 befragten Erwachsenen nur 13% für „sehr glücklich“, 5% hingegen für „sehr unglücklich“, wobei das durchschnittliche Glück auf einer zehnteiligen Skala immerhin bei 7,4 Punkten lag (S. 16). Neben der philosophisch-anthropologischen Differenzierung von Glück als Ausdruck eines besonderen, einzigartigen Umstands (fortuna, Glückhaben, luck) einerseits und als subjektives, länger anhaltendes Empfinden (felicitas, Glücklichsein, happiness) andererseits, verweist Bauer u. a. auf aktuelle Befunde der empirischen Psychologie. Demnach sind etwa 50% des persönlichen Glücksniveaus genetisch bedingt, 40% auf bewusste Verhaltensweisen zurückzuführen und 10% äußeren Umständen geschuldet (vgl. S. 20ff.). Nichtsdestotrotz gebe es eine Reihe von Möglichkeiten, das eigene Glück zu befördern, ist Bauer überzeugt (vgl. Kasten). Aus der Perspektive des Philosophen skizziert im folgenden Otto Neumaier den Zusammenhang von Glück und Moral. „Glück“, so stellt er einleitend fest, habe ursprünglich vor allem das Gelingen einer zielstrebigen Handlung bedeutet, wobei die Menschen schon früh festgestellt hätten, „dass das, was sie als Glück empfinden, nicht bloß von ihnen selbst abhängt …“ (S. 33). Zur reflexiven Erfahrung von Glück „bedürfe es einer gewissen Distanz zu unseren unmittelbaren Bedürfnissen“, so Neumaier weiter, der mit Wittgenstein auch darauf verweist, dass wir „die gesamte Welt verändern, wenn wir durch moralisches Handeln glücklich werden“ (S. 43). Ob Geld glücklich mache, fragt im Anschluss daran der Theologe Alois Halbmayr. Differenzierend wird dabei materielles Vermögen als Gestaltungsmoment individueller und gesellschaftlicher Freiheit benannt und u. a. darauf verwiesen, dass „das Aufbrechen der konsumistisch-utilitaristischen Verengung des Glücksbegriffs (…) die Perspektive auf die globale Welt weitet. Eine Aufgabe religiöser Traditionen und ihrer institutionellen Repräsentanzen liege darin, sich engagiert und vorurteilsfrei an den Debatten um die Elemente eines guten und gelingenden Lebens zu beteiligen“ (S. 53 f.). Den nur begrenzten Zusammenhang der Steigerung von Einkommen und Wohlbefinden thematisiert einmal mehr Mathias Binswanger (er spricht dabei von den „Tretmühlen des Glücks“). Der USamerikanische Psychologe Kennon M. Sheldon erläutert in einem weiteren Beitrag die Grundlagen und Befunde des von ihm entwickelten „Sustainable Happiness Modells“, das unter anderem den Faktor Zeit als wesentliche Kategorie individuellen Glücksempfindens bestätigt. Und insbesondere mit einer Empfehlung lässt Sheldon aufhorchen: „Vielleicht sollten die Menschen nicht zu sehr versuchen, ihr Glück zu maximieren (ein Ding der Unmöglichkeit), sondern sich stattdessen darauf konzentrieren, Katastrophen zu vermeiden, die ihr Wohlbefinden dauerhaft beeinträchtigen.“ (S. 70) Auf den bisher wenig untersuchten Zusammenhang von Sucht, Sehnsucht und der Suche nach dem Glück lenkt Michael Musalek, Primar am Klinikum in Kalksburg, die Aufmerksamkeit, während Gottfried Bachl über den Zusammenhang von Glück und Jenseits nachdenkt. Von der vermeintlichen „Süße der Rache“ oder der „Nützlichkeit der Hölle“ ist dabei ebenso die Rede wie von „ungeduldiger Himmelfahrt“, die Märtyrern und Terroristen gleichermaßen zu eigen ist. Vom Glück als zentralem Thema der Literatur – Karlheinz Rosbacher erörtert an Beispielen von Freud und Kertéz, Musil, Hesse u. a. m., Wilhelm Genazino steuert Auszüge aus seinem Buch vom „Glück in glücksfernen Zeiten“ bei und spricht darüber mit Ulrike Tanzer – ist im Folgenden zu lesen. Der Bedeutung von Glück in der Bildenden Kunst (u. a. bei Tizian und Rubens) und im Film sind Beiträge von Renate Prochno und Manfred Mittermayer gewidmet. Der Erziehungswissenschaftler Anton A. Bucher wiederum berichtet anhand ausgewählter empirischer Befunde, „was Kinder wirklich glücklich macht“ (ist’s Haribo, Taschengeld oder gar Lob?), und abschließend legen Reinhold Popp, Reinhard Hofbauer und Markus Pausch vom Zentrum für Zukunftsstudien soziale und ökonomische Bedingungen von Lebensqualität dar. Unter anderem verweisen sie darauf, dass bis 2030 nur etwa 10% der durchschnittlichen Lebenszeit (das sind 700.000 Stunden) selbst im Fall einer durchgehenden Arbeitskarriere mit Vollzeitanstellung für berufliche Arbeit anfallen. „In diesem Teil der Lebenszeit müssen wir jedoch die finanzielle Wertschöpfung für die restlichen 9/10 unseres Lebens erarbeiten. Dies ist wohl einer der Gründe, warum wir diesen objektiv sehr übersichtlichen Anteil unseres Lebensbudgets subjektiv als Zentrum des Lebens wahrnehmen!“, argumentieren die Experten (S. 192). Einer von vielen interessanten Befunden, die diesen Band besonders empfehlenswert machen. W. Sp.

 

Auf der Suche nach dem Glück. Antworten aus der Wissenschaft. Hrsg: Emmanuel J. Bauer …. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchges., 2011. 224 S., € 24,90 [D], 25,70 [A], sFr 42,30 ; ISBN 978-3-534246663