Future-Sex

Ausgabe: 1996 | 2

Was kommt nach Prüderie, sexueller Revolution und Aids? Dieser Frage geht der erste Band der Reihe "Zukunftsbibliothek" nach, die - der Name würde es nahelegen - nicht vom Herausgeber dieser Zeitschrift publiziert wird. Der wohlwollende Blick auf die neue Buchreihe soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit dem Titel offensichtlich neue Gipfel des Trendgeschäfts erklommen werden sollen. Darüber hinaus entstand eine feinsinnig-sensible, aber auch lustvoll-skurrile Abhandlung über das, was uns alle in Zukunft mehr oder weniger beschäftigen wird.   Gisela Getty und Jutta Winkelmann begeben sich auf eine erotisch-philosophische Reise und wollen wissen, wie sich das Weibliche und das Männliche in Zukunft organisieren werden. Und sie sind selbst überrascht darüber, daß mit zwei Ausnahmen nur Männer zu Wort kommen. Die Zwillinge befragten alte Bekannte, neue Freunde, Mitstreiter, Avangardisten und Weggefährten. Die dabei entstandenen Gespräche u. a. mit Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz, dem Programmierprofessor Friedrich A. Kittler, dem Autor Warren Farrell (Mythos Männermacht). dem Drogenpapst Timothy Leary, dem Sozialwissenschaftler Klaus Theweleit (Autor des Buches Männerphantasien) und Dennis über den Geschlechtervertrag zeigen verblüffende Einsichten. Der Herausgeber Matthias Horx rechtfertigt die unkonventionelle Herangehensweise an das Thema damit, daß nur aus dem vollen Leben heraus das Zukunftsfähige aufzuspüren sei. Zum eigentlichen Thema: Ein Teil der Erotik der Zukunft wird in einer weiteren Steigerung der Reize bestehen, obwohl die "Aufrüstung des Erotischen" scheinbar schon ihre Grenzen erreicht hat. Weitere Entwicklungen zeichnen sich in Form der Virtualisierung (im Datennetz), der Ritualisierung, Spiritualisierung und Fetischisierung - Sexualität nicht mehr verstanden als seelische und körperliche Begegnung, sondern als Verkehren mit Objekten - ab. Gleichzeitig sehen die Autorinnen aber auch im Sex das Phänomen Entschleunigung als aktuell an. Die neue Enthaltsamkeit (die neue Askese) bezieht sich v.a. auf Cybersex, obwohl online andererseits vieles möglich wird; aber auch dort, "wo die Selbstbeschränkung zur letzten Raffinesse" wird, kann man auch Migräne bekommen, wie die Autorinnen selbst erfahren mußten. Schließlich stellen sich Getty/Winkelmann eine ganz und gar unspektakuläre Zukunft vor, in der Männer männliche Rollen spielen können und Frauen Frauen sind, ohne gleich in die alten Plattitüden und Klischees zurückzufallen. A.A.

 

Getty, Gisela; Winkelmann, Jutta: Future-Sex. Düsseldorf (u.a.): Metropolitan-Verl., 1996.245 S. (Leben im 21sten Jahrhundert - die Zukunftsbibliothek)