David Graeber

Bullshit Jobs

Ausgabe: 2019 | 3
Bullshit Jobs

Nicht sinnvolle, sondern sinnlose Arbeit nimmt der britische Soziologe David Graeber zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen über „Bullshit Jobs“. Als „Bullshit Job“ bezeichnet Graeber eine „Beschäftigung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst die Beschäftigten ihre Existenz nicht rechtfertigen können, wobei sie sich aber gleichzeitig verpflichtet fühlen, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.“ (S. 38)

Fünf Haupttypen von Bullshit-Jobs macht der Autor aus. Erstens: Die Tätigkeit des „Lakaien“, die ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dient, „dass jemand anderes wichtig zu sein scheint oder sich wichtig vorkommt“ (S. 65). Zweitens: Die Tätigkeit der „Schläger“. Gemeint sind damit zum Beispiel LobbyistInnen, PR-SpezialistInnen, UnternehmensanwältInnen oder auch TelefonwerberInnen, also Personen, die Druck erzeugen. Weiters nennt Graeber als dritten Punkt die Tätigkeit der „Flickschuster“, die man nur braucht, weil es chronische Fehlleistungen in Organisationen gibt. „Sie sind dazu da, ein Problem zu lösen, dass es eigentlich nicht geben sollte.“ (S. 81) Graeber meint damit Schäden, die von nachlässigen oder unfähigen Vorgesetzten angerichtet werden. Die Tätigkeit der „Kästchenankreuzer“ wird als vierter Aspekt genannt und umfasst Jobs, in denen Menschen Formulare ausfüllen lassen, Statistiken anlegen und diese dann ablegen. Diese hat der Autor bereits in seinem vorangegangenen Buch über „Bürokratie“ ausführlich beschrieben. Auch „Untersuchungskommissionen“ rechnet Graeber dieser Kategorie zu, da diese meist eine Methode seien, „mit der man der Öffentlichkeit sagen kann, die Regierung unternehme etwas, was sie in Wirklichkeit nicht unternimmt“ (S 89). Schließlich nennt der Autor noch die Tätigkeit der „Aufgabenverteiler“, denen er viel Aufmerksamkeit einräumt und die er als „Manager-Feudalismus“ (S. 258) charakterisiert: Der in Unternehmen erzeugte Mehrwert werde nicht auf die Belegschaften durch angemessene Löhne verteilt, sondern von ständig wachsenden Hierarchieebenen in der Verwaltung und im Management absorbiert.

Beispiele und Vorschläge

Graeber ist Anthropologe und nicht empirischer Sozialwissenschaftler. Seine pointiert und mitunter sarkastisch vorgetragenen Befunde beruhen auf Zuschriften von und Gesprächen mit Betroffenen, die sich sozusagen „outen“. Ob es sich bei den geschilderten Fällen um Einzelbeispiele oder um verallgemeinerbare Trends handelt, lässt sich nicht sagen. Glaubwürdig erscheint wohl, dass das Image von Unternehmen, die sich selbst gern als schlank und sparsam darstellen, so nicht immer stimmt. Machtstrukturen und unproduktive Hierarchien, Ineffizienzen und Kommunikationsdefizite kosten – dies zeigen auch andere Untersuchungen – Unternehmen und letztlich auch die Gesellschaft viel Geld. Anzumerken ist, dass Graeber von einem radikalen Verständnis sinnvoller Arbeit ausgeht. Wenn er von Nützlichkeit und dem Wert von Arbeit spricht – dies ist eines der spannendsten Kapitel des Buchs –, dann meint er „echte Werte schaffende Arbeit“ und nicht Arbeit, die nur dazu da ist, Nachfrage zu schaffen, worunter beispielsweise die gesamte PR-und Consulting-Branche fällt (S. 292). Bemerkenswert an der Untersuchung ist auch, dass gerade jene Tätigkeiten, die tatsächlich gebraucht werden, wie Müllentsorger, am schlechtesten bezahlt sind. Man kann hier auch betreuende, pädagogische oder pflegende Tätigkeiten nennen.

Die steigende Produktivität im Kapitalismus habe nicht dazu geführt die „globale Arbeitsmaschine herunter zu fahren“ (S. 282), sondern zur Schaffung immer neuer Jobs, viele davon eben Bullshit-Jobs. Graeber, der sich selbst als Anarchist bezeichnet und betont „Mitglied der Industrial Workers of the World“ zu sein, ist vorsichtig mit Vorschlägen, insbesondere wenn sie den Staat brauchen. Einen Vorschlag macht Graeber aber, um dem Entstehen immer neuer sinnloser Jobs zu entkommen, nämlich den Lebensunterhalt von der Arbeit zu trennen – durch ein Grundeinkommen. Damit würden nicht nur jene zahlreichen kontrollierenden und die Kontrollierten erniedrigenden Tätigkeiten wegfallen; vor allem hätten Menschen auch die Möglichkeit, zu sinnlosen Tätigkeiten „Nein“ zu sagen.

Ein Buch, das am Dogma des „effizienten“ Kapitalismus rüttelt, provoziert, in Teilen überspitzt, aber in jedem Fall zum Hinterfragen unserer Arbeitswut und des Mitmachens in einem System unproduktiver Machthierarchien anregt.