Doan Bui, Leslie Plée: Glauben Sie an die Wahrheit?
„Glauben Sie an die Wahrheit?“ hätte in ähnlicher Form weder als Sachbuch noch als Roman funktioniert. Die Graphic Novel klärt einerseits über rund ein Dutzend der einflussreichsten Verschwörungsmythen und Fake News-Produzent:innen auf, indem sie sich auf Fakten, Hintergründe und reale Auswirkungen bezieht. Andererseits zeigt die humorig-verspielte Reise der Protagonistin, warum Journalismus für gute Zukünfte so wichtig ist. Manch unreflektierte Vorannahme gibt Abzüge in der B-Note, während die Sensibilisierung für einen gesünderen Umgang mit Fakten durchweg überzeugt. Von Jonas Drechsel
Doan Bui, Leslie Plée: Glauben Sie an die Wahrheit? Carlsen Verlag, Hamburg 2022; 176 Seiten
Zoran Terzić: Zukunft
Es beginnt mit einem Paradox: Wer mit Gewissheit behauptet, die Zukunft könne nicht vorhergesagt werden, weil wir nicht wissen, was kommt, artikuliert damit schon eine Vorstellung des Zukünftigen, ein Wissen. Um Vorstellungen, die auf die Zukunft projiziert werden, um implizites Wissen mithin, das gewissermaßen in die Zukunft vorausgeworfen wird, geht es in Zoran Terzić’ Buch. Seine These lautet, dass es beim Umgang mit der Zukunft „nicht so sehr aufs Wissen ankommt, sondern eher auf die Kunst, mit dem Ungewissen umzugehen“ (S. 9). Jedes Neue setze eine gewisse Ahnungslosigkeit voraus. „Neu ist, was überrascht.“ (ebd.) Das Buch bietet zahlreiche Zugänge, dieses Kunstwerk Zukunft zu deuten. Von Winfried Kretschmer
Zoran Terzić: Zukunft. Kunst des Ungewissen. Diaphanes Verlag, Zürich 2022; 200 Seiten
Niklas Maak: Servermanifest
Das Buch „Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen“ von Niklas Maak, unter anderem Architekturkritiker der FAZ, behandelt ein Thema, das bisher nur vage Eintritt im Mainstream-Diskurs gefunden hat: Serverfarmen. Der Architekt bezeichnet diese auch als eine „Art kollektives Gehirn der Menschheit“ (S. 47), welche jedoch überwiegend im Besitz privater Unternehmen und zudem noch bewusst unsichtbar gestaltet sind. Für Maak ist es daher unumgänglich, dass diese neuen Zentren der Macht ihren Weg aus der Peripherie in Städte finden und dort zu transparenten Orten der Beteiligung werden. Von Carmen Bayer
Niklas Maak: Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2022; 112 Seiten
Mareile Pfannebecker, James A. Smith: Alles ist Arbeit
Dieses Buch analysiert treffend die jüngsten Entwicklungen in der Arbeitswelt. Neben neuen Formen der Prekarität und Arbeitslosigkeit beschäftigen sich die Autor:innen insbesondere mit dem Regime der „Lebensarbeit“, wonach andere oft auch während unserer Freizeit Geld an unseren Tätigkeiten verdienen. Wenn wir im Supermarkt an SB-Kassen selbst auschecken, oder bei der Nutzung sozialer Medien Algorithmen trainieren, sei das eigentlich Arbeit. Eine zukünftige Gesellschaft, in der unser Leben nicht primär durch Arbeit bestimmt ist, erfordere vor allem, dass wir neue Technologien nach unseren Vorstellungen einsetzen, anstatt uns von ihnen beherrschen zu lassen. Von Stefanie Gerold
Mareile Pfannebecker, James A. Smith: Alles ist Arbeit. Mühe und Lust am Ende des Kapitalismus. Edition Nautilus, Hamburg 2022; 224 Seiten
Peter Friederici: Beyond Climate Breakdown
Peter Friederici beleuchtet in seinem Buch „Beyond Climate Breakdown“ den globalen Umgang mit dem Klimawandel. Greta Thunbergs „how dare you?“ ist noch immer aktuell: warum zerstören wir die eigenen Lebensgrundlagen? Tieferliegende Mechanismen sieht der Autor in Sprache, Bildern und Metaphern, die unser Verständnis von Zusammenhängen beeinflussen. Von uns geschaffene Narrative erklären die Welt und schaffen Bedeutung, doch oft halten sie uns von einem Verständnis des Klimazusammenbruchs ab. Denn sie fallen in ein bestimmtes Muster, das unvermeidlich scheint, letztlich aber im Eigeninteresse einzelner Personen geschaffen wurde. Besonders dominant ist die Erzählung des Westens, von unbegrenztem Wachstum und Fortschritt, sowie von einem Individuum, das heldenhaft Hindernisse meistert. Indem Friederici die ansteigende Kurve der Klimagase über Kurven von Wohlstand und Fortschritt legt, wird deutlich, warum uns steigende Kurven nicht stören – sie passen einfach zu den bekannten Mustern. Weitere Mechanismen und Fragen menschlicher Beweggründe, ob moralischer oder religiöser Art, sowie Fragen nach der Freiheit erörtert Friederici sehr anschaulich unter Bezugnahme zu Positionen von u. a. Hanna Arendt, Donna Haraway, Erich Fromm, Ursula K. Le Guin und Bruno Latour. Der Umgang mit dem Klimazusammenbruch wird – ob mit gutem oder schlechtem Ende – die ultimative Geschichte der Menschheit sein. Doch auch angesichts großer Verluste und Veränderungen können wir unseren starren Blick auf die tragische Erzählung weiten, um Raum für eine Vielzahl weiterer Narrative zu schaffen, die, wie die physikalischen Kipppunkte, ungeahnte Wege ermöglichen können. Von Clara Buchhorn
Peter Friederici: Beyond Climate Breakdown. Envisioning New Stories of Radical Hope. The MIT Press, London 2022; 184 Seiten