Die aktuelle "Krise der Zeiterfahrung " veranlasst den Autor, in der historischen Rekonstruktion von Veränderungsprozessen die wesentlichen Motive und Entwicklungsschübe darzustellen. Ausgehend von der Selbstverständlichkeit von Zeit im Alltagsleben werden objektive, subjektive und psychologische Kategorien des Zeiterlebens beschrieben. Das Zeitbewusstsein hat für Matzen v.a. eine intersubjektive Qualität, es reflektiert die kollektive zeitbezogene Befindlichkeit einer bestimmten Kulturepoche. Nach einem Blick auf das Zeitbewusstsein bei archaischen Völkern, die Zeiterfahrung des Vorher und Nachher im Mittelalter bis hin zur Vorstellung einer linearen Zeit mit offener Zukunft in der Neuzeit kommt der Autor auf die gegenwärtige Krise des Zeitbewusstseins zu sprechen. Zwar gibt es "keinen Weg zurück aus der möglicherweise selbstbestimmten Zukunft", doch wird durch Ausbeutung, Kolonialisierung und Bewirtschaftung der Zukunft (Ökodesaster, Ressourcenverschwendung) "das Spektrum alternativer Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen z. T. erheblich eingeschränkt". Die Zukunft als prekäre Zeitausdehnung verkürzt" Planungshorizonte entwerfenden Denkens". Durch diese Entwicklung sieht Matzen eine erneute Transformation des Zeitbewusstseins nahen, die er als das „Antinomische der Zukunft" bezeichnet. Gemeint ist damit eine Zukunft, die gleichzeitig offen und vorentschieden ist. Offen mit negativen Vorzeichen durch beschleunigte Veränderungsgeschwindigkeit, vorentschieden durch die Folgen der Dynamik technisch-ökonomischer Entwicklungen. Er sieht darin ein Hinbewegen auf die Zeitperspektive des christlichen Mittelalters (lineare Zeit mit geschlossener Zukunft) in säkularisierter Variante. Schließlich werden Handlungsmöglichkeiten beschrieben, die eine erneute Transformation des Zeitbewusstseins in Richtung reflexive Behutsamkeit hervorbringen könnten. Dazu wäre Diskursivität, Reflexivität, rationale Zukunftsorientierung und Abkehr von zentralgeleiteten Veränderungsideen notwendig. Als unverzichtbare Komponente eines ökologischen Generationenvertrages werden die Fehlerfreundlichkeit und Reversibilität genannt. "Es ist immerhin nicht prinzipiell ausgeschlossen die Zukunft durch veränderte gesellschaftliche Praxis wieder zu öffnen."
Matzen, Jörg: Zeitbewusstsein und sozialer Wandel. Anmerkungen zur Geschichte des Zukunftsbewusstseins. In: dialog. Nr. 8, 1991. S. 9-60, DM 10,-/ sFr 8,50 öS 78