Julia Friedrichs

Working Class

Ausgabe: 2021 | 3
Working Class

Es entsteht das starke Gefühl, dass das so nicht richtig sein kann, dass das nicht sein darf, was hier beschrieben wird. Ist es aber und Julia Friedrichs hat es eindrucksvoll porträtiert: Die Autorin nimmt uns mit in das Leben ihrer Protagonist:innen. In eine Realität, die nicht wenige, sondern die meisten in Deutschland betrifft: „Nettoeinkommen gleich Monatsbudget ohne Rücklagen-Netz“ (S.12).

Vorbehalte, ob working class tatsächlich schärfer greift als der Ausdruck „Arbeiterklasse“, entpuppen sich als irrelevant. Denn die moderne Arbeiter:innenschaft bekommt Gesichter: Sait, Christian und Alexandra sind drei der Personen, die Friedrichs über ein Jahr lang begleitete. Wirkungsvoll wird durch diese individuellen Geschichten eine facettenreiche und breite working class beschrieben, die Beispiele reichen von der ungelernten Reinigungskraft bis zur promovierten Musikerin. Die eingewobenen Statistiken und Expert:innenstimmen zeigen dabei, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern repräsentative Erfahrungen handelt. Der Wirtschaftsprofessor Timm Bönke bringt diese in einem Satz auf den Punkt: „Arbeit verliert […] und Kapital gewinnt.“ (S.67)

Mitten in Friedrichs Recherchen hinein geht Deutschland in den ersten Lockdown und die prekäre Lage derer wird überdeutlich, „die den Laden am Laufen halten“ oder „flexible Beschäftigungsverhältnisse“ haben. Was vorher kaum zu ertragen war, driftet Richtung Perversion. Während der 67-jährige Kneipeninhaber sein Erspartes einsetzt, um Miete und Angestellte zu bezahlen, nehmen Investor:innen und Konzerne die Politik mit der Drohung von Entlassungen zur Geisel. Sie nutzen die Situation, um Projekte durchzupeitschen oder Staatshilfen einzustreichen, schreibt die Autorin.

So lautet also die Logik des Finanzkapitalismus in 2020: Der Staat zahlt, Beschäftige verzichten, Kapitalgeber:innen bekommen Dividenden, insgesamt 1,4 Mrd. Euro im Fall von Daimler. Die Kurzarbeitsregelung des Unternehmens hat der Staat derweil übrigens mit 700 Mio. Euro bezuschusst.

Um uns gegen diese „Exzesse“ zu stemmen, müssten wir entschlossen die Regeln ändern: „den Kapitalismus vor sich selbst retten, ihn zähmen“ wie es Friedrichs in ihrer abschließenden Reflexion nennt, denn „[d]as Problem ist nicht das Spiel, sondern dass es nach offensichtlich unfairen Regeln gespielt wird.“ (S. 302)