
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende eingeleitet und die Weltpolitik grundlegend verändert. Neben dem militärischen Krieg gegen die Ukraine führt Russland einen wirtschaftlichen Krieg mit dem Westen. Anstelle von Panzern, Drohnen und Marschflugkörpern werden in diesem Krieg Erdölpipelines, Exportverbote und Strafzölle als Waffen eingesetzt. Während Russland besonders in den ersten Kriegsmonaten durch Lieferstopps von Erdgas versuchte, den Westen von einer Unterstützung der Ukraine abzubringen, zielt der Westen mit seinen Sanktionen darauf ab, den russischen Staatshaushalt durch verringerte Einnahmen aus Energieexporten zu schädigen und die russische Industrie durch das Vorenthalten wichtiger Technologie und Vorprodukte zu schwächen.
Eine Neuauflage zum genau richtigen Zeitpunkt
Vor diesem Hintergrund erscheint die Neuauflage des Buchs „Wirtschaftskriege“ von Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff zu genau dem richtigen Zeitpunkt. Bis heute ist weitgehend unklar, wie wirkungsvoll die wirtschaftlichen Sanktionen im Wirtschaftskrieg zwischen Russland und dem Westen sein werden. Während Europa trotz schmerzhafter Preissteigerungen weiterhin an der Unterstützung der Ukraine festhält, ist auch die russische Regierung trotz gestörter Lieferketten und löchriger Staatskassen weiterhin in der Lage, die Rüstungsproduktion aufrechtzuerhalten. Oermann und Wolff kommen in ihren Analysen zu dem Schluss, dass die westlichen Sanktionen trotz erheblicher Kosten für den Westen die beste verfügbare Option gegen die russische Aggression sind, auch wenn sie wohl erst in einigen Jahren durch Kaskadeneffekte ihre volle Wirkung entfalten werden und dann zu massiven Schäden in der russischen Wirtschaft führen dürften.
Handelskriege und Wirtschaftskriege haben zugenommen
Auch jenseits der wirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen hat die Anzahl der Handelskriege und Wirtschaftssanktionen zugenommen. Nach einer jahrzehntelangen Epoche des Freihandels und der Globalisierung zeichnet sich nun eine Phase des Protektionismus mit einhergehenden Handelskriegen und gegenseitigen Wirtschaftssanktionen ab. Ein weiterer Schwerpunkt des Buchs liegt daher auf der Rolle von China in der Weltwirtschaft. Oermann und Wolff kommen zu der klaren Schlussfolgerung, dass China einen Wirtschaftskrieg gegen den Westen führt und – im Schulterschluss mit Russland – einen Systemkonflikt austrägt. China sucht gezielt um Vorherrschaft durch militärische, wirtschaftliche, finanzielle und technologische Dominanz.
Das Buch von Oermann und Wolff bewertet außerdem auch die ethischen, rechtlichen und ökonomischen Grundlagen für Wirtschaftskriege und bietet einen historischen Überblick über die Geschichte der Wirtschaftspolitik. In diesen Aspekten bleibt das Buch vorrangig theoretisch und behandelt stellenweise ausschweifend Randaspekte der Wirtschaftsgeschichte. Anstatt einer empirischen Analyse der Wirksamkeit von Wirtschaftskriegen und Faktoren, die ihre Erfolgschancen beeinflussen, basieren die Ausführungen eher auf Anekdoten und Fallbeispielen.
Das Schlusskapitel widmet sich dann auch vorrangig geostrategischen Handlungsempfehlungen an den Westen, um den Systemkonflikt mit China und Russland zu gewinnen. Der Ausblick von Oermann und Wolff ist dabei eher düster: der Westen muss sich auf viele Jahrzehnte harten Wettstreits einstellen, um die freiheitliche Demokratie in der Welt zu verteidigen. Dazu muss sich insbesondere die EU ehrlich und ernsthaft der Herausforderung stellen, als Akteur handlungsfähiger werden und seine Wirtschafts- und Finanzbeziehungen mit China stärker geostrategisch gestalten. Die starke Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen hat im Westen bereits zu einem Umdenken in der Handelspolitik und stärkeren Bedürfnis nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit von Autokratien geführt; diese Anstrengungen sollten intensiviert werden.
Ein guter Überblick
Insgesamt ist Oermann und Wolff mit diesem Buch ein guter Überblick über die neue, deutlich konfrontativere, Realität der Weltwirtschaft gelungen.