Hannah Wahl

Radikale Inklusion

Ausgabe: 2024 | 2
Radikale Inklusion

Radikal ist die Inklusion, von der Hannah Wahl in ihrem Beitrag spricht, eigentlich nur, wenn man von der heute verbreiteten Umsetzung von Inklusion ausgeht. Geht man definitorisch von Inklusion aus (also Einbezogensein, Dazugehören oder „Einschluss“), wird schnell deutlich, dass dies in unserer Gesellschaft so nicht praktiziert wird und Wahls Plädoyer eher konsequent als radikal ist. Auch wenn das Wort „Inklusion“ in der Politik fast schon Flügel bekommen hat, so sprechen gesonderte Heime, Sonderschulen, Sterilisation, prekäre Arbeitsverhältnisse, mangelnde Barrierefreiheit oder die schlichte Tatsache, dass Menschen ohne Behinderung problemlos ohne Kontakt zu Menschen mit Behinderung durchs Leben gehen können, eine deutliche Sprache: Wir haben keine Inklusion in unserer Gesellschaft – auch wenn viel und gerne davon gesprochen wird. Für Menschen mit Behinderungen, ihre Angehörigen oder engagierte und interessierte Menschen ist das sicher keine Neuigkeit, sondern eher Common Sense. Dennoch bringt Wahl die Diskrepanz zwischen dem öffentlich formulierten Anspruch und der tatsächlich fehlenden Umsetzung von Inklusion recht treffend auf den Punkt. Die Gründe für die mangelnde Umsetzung sieht Wahl im kapitalistischen System, das auf Produktivität ausgerichtet ist und für Behinderung schlicht keinen Raum lässt. Hier wird der Text tatsächlich radikaler, denn die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion kann nach Wahl nur mit einer systematischen Veränderung der Gesellschaft einhergehen. Auch wenn die Argumente und Schlussfolgerungen sicher nicht als neu interpretiert werden können, ist ein so deutlicher Aufruf, Inklusion radikal bzw. konsequent zu denken, mehr als sinnvoll. Um mit der Umsetzung von Inklusion beginnen zu können, muss zunächst mit dem Mythos aufgeräumt werden, dass wir bereits in einer inklusiven Gesellschaft leben, was leider noch immer eine weit verbreitete und sozial gelebte Wahrheit ist. Wahl trägt ihre Argumente wie eine Rede vor: eine Mischung aus Recherche, persönlichen Erfahrungsberichten von Betroffenen und Vorschlägen bzw. Appellen, weshalb der Lesefluss manchmal etwas ins Stocken gerät. Dennoch lohnt sich die Lektüre und verdient allein schon wegen der Aufklärung über gesellschaftlich verbreitete Fehlinterpretationen mehr Aufmerksamkeit, auch wenn man vielleicht nicht jedem Argument bis zum Ende folgen möchte. Ist Wahls Plädoyer radikal? Vielleicht nicht. Konsequent? Auf jeden Fall! Und folgerichtig endet die Streitschrift auch mit einer Zusammenfassung in leichter und damit zugänglicher Sprache.