Timothée Parrique

Wachstum bremsen oder untergehen

Ausgabe: 2025 | 2
Wachstum bremsen oder untergehen

Timothée Parriques Buch „Wachstum bremsen oder untergehen“ ist ein kämpferisches, radikal ehrliches und hochaktuelles Werk, das die Widersprüche und Abgründe des Wachstumsparadigmas schonungslos entlarvt. Von der ersten Seite an macht der Autor klar: Die Zeit für Ausflüchte und pseudowissenschaftliche Neutralität ist vorbei. Mit einer Mischung aus präziser Analyse und emotionaler Wucht beschreibt er, warum der Kapitalismus, in seiner heutigen Wachstumsfixierung, nicht nur untragbar, sondern auch nutzlos und fragil geworden ist – ein System, das dringend ersetzt werden muss. Bereits in der Einleitung setzt Parrique den Ton: Er verweist auf die ungleiche Verantwortung für die Klimakrise, geprägt durch eine „Verschmutzungselite“, die viermal mehr Emissionen verursacht als die ärmste Hälfte der Menschheit. So lautet Parriques zentrale These, so prägnant wie unbequem: Die ökologische Krise ist keine unvermeidliche Folge menschlicher Existenz, sondern das Ergebnis eines Kapitalismus, der das Wirtschaftswachstum über alles stellt. Wachstum, so zeigt er eindrücklich, ist längst kein Mittel mehr, um Probleme zu lösen, sondern zu einem Zweck verkommen, der den Blick auf tatsächliche gesellschaftliche Bedürfnisse verstellt.

Der Autor gliedert das Buch in drei zentrale Teile: die Analyse der Wachstumsökonomie als Sackgasse, den Entwurf einer Postwachstumsökonomie und die Darstellung von Degrowth als Übergangsstrategie. Besonders eindrucksvoll ist dabei seine Entzauberung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Wohlstandsindikator. Parrique legt dar, dass das BIP nicht zwischen förderlichem und schädlichem Wachstum unterscheidet und wesentliche Werte wie Freizeit, Identität und soziale Beziehungen ignoriert. Er bringt es auf den Punkt: „Das Wachstum und die Schrumpfung des BIP sagen uns nicht viel über die wahre Leistung einer Ökonomie“ (S. 41). Ein besonderes Merkmal des Buches ist Parriques Fähigkeit, Leser:innen auf einer emotionalen Ebene zu erreichen. Seine Wut über die Ignoranz gegenüber wissenschaftlich belegten Fakten und die mangelnde Gestaltungskraft unserer Gesellschaft wird greifbar – und wirkt befreiend. Gleichzeitig entlarvt er die lähmende Fantasielosigkeit, mit der wir uns die Zukunft vorstellen: „Wir können uns unseren Planeten leicht in allen möglichen Dystopien im Stil von Black Mirror vorstellen, uns aber eine Wirtschaft vorzustellen, in der weniger produziert wird als heute, kommt der Häresie gleich“ (S.14). Dieses Spannungsfeld zwischen resigniertem Weiter-so und der Notwendigkeit mutiger Alternativen macht Parriques Werk zu einer Inspirationsquelle für alle, die nicht länger zuschauen wollen, wie wir auf Kosten kommender Generationen die planetaren Grenzen sprengen.

Ein Highlight ist Parriques Demontage der „grünen Wachstumsideologie“. Mit Verweis auf umfangreiche Forschung zeigt er, dass die Idee einer vollständigen Entkopplung von Wachstum und Umweltzerstörung ein Mythos bleibt. Effizienzsteigerungen und technologische Innovationen mögen Emissionen senken, doch Rebound-Effekte und die Externalisierung von Kosten in andere Regionen untergraben diese Fortschritte immer wieder. Hier wird deutlich, dass das Wachstumsdogma nicht aus wissenschaftlicher Evidenz, sondern aus einer tief verwurzelten Ideologie gespeist wird. Der „Habitus des Wachstums“, wie Parrique ihn nennt, hat sich als vermeintlich naturgesetzliches Prinzip etabliert, obwohl er weder soziale Gerechtigkeit noch ökologische Stabilität sicherstellt. Ebenso wertvoll sind die abschließenden Kapitel, in denen Parrique konkrete Alternativen aufzeigt. Degrowth, so betont er, ist keine Krisenökonomie, sondern ein bewusster, demokratisch gesteuerter Prozess, der auf soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und individuelles Wohlbefinden abzielt. Der Autor erwähnt eine Menge 380 konkreter Maßnahmen aus der Literatur, von der Reduzierung von Werbung bis zur Förderung von Genossenschaften, und zeigt, wie eine Welt ohne Wachstumszwang aussehen könnte. Hierin liegt auch die größte Stärke des Buches: Es bleibt nicht bei der Kritik, sondern bietet greifbare Visionen für eine prosperierende Gesellschaft jenseits des Wachstums.

„Wachstum bremsen oder untergehen“ ist kein Werk mit bahnbrechend neuen Thesen – und genau darin liegt sein Wert. Parrique verwebt bekannte Kritikpunkte mit einer Klarheit und Präzision, die sie unwiderlegbar machen. Er entlarvt die Kritik an Degrowth als das, was sie häufig ist: ein Versuch, bestehende Machtstrukturen zu bewahren und alternative Modelle zu diskreditieren. Dabei zeigt er, dass Degrowth kein Verzicht ist, sondern eine notwendige Entscheidung zur Genügsamkeit, um planetare Grenzen und soziale Stabilität zu wahren. Das Buch ist mehr als ein Appell – es ist ein Manifest des Offensichtlichen. Es fordert nicht nur ein Umdenken, sondern lädt ein, die eigene Gestaltungsmacht zurückzuerobern und eine Welt zu schaffen, in der Wohlstand nicht mit Wachstum, sondern mit Gerechtigkeit und Lebensqualität gleichgesetzt wird. Es sollte zur Pflichtlektüre für alle werden, die in Zukunft Wirtschaft lernen, lehren und gestalten.