Grüne Gier

Wigbert Tocha

Ausgabe: 2023 | 3
Wigbert Tocha

„Der Energiebedarf einer auf Wachstum gepolten Industriegesellschaft kann nicht mit angeblich unendlich zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energien gedeckt werden“(S. 31), so die Grundaussage von Wigbert Tocha in seinem Buch „Grüne Gier“. Der Titel mag etwas irritieren, denn wenn es eine Bewegung gibt, die auf die Grenzen des Wachstums verweist, dann ist es die Umweltbewegung. Die Wachstumsgläubigen sind eher in anderen Gruppierungen zu verorten. Der Autor verweist aber – und das ist verdienstvoll – auf die Fallen eines technizistischen Energiewendediskurses. Alles weiter wie bisher, nur eben mit erneuerbaren Energien, wird nicht möglich sein. Tocha bringt dazu anschauliche Beispiele. Die strombasierte Herstellung von synthetischem Kerosin für den deutschen Flugverkehr würde mehr elektrische Energie benötigen, als alle Ökostromanlagen heute zusammengenommen produzieren, rechnet er mit dem Bundesumweltministerium vor. „Grüner Stahl“ und „grüne Chemie“ würden mehr elektrische Energie erfordern als ganz Deutschland derzeit Strom verbraucht. Allein das größte Stahlwerk der Bundesrepublik, die Hütte Schwelgern bei Duisburg, hätte einen Wasserstoffbedarf, der 3.800 Windräder heutigen Standards bräuchte, um den dafür nötigen „grünen“ Strom zu erzeugen.

Konflikte mit dem Naturschutz

Tocha verweist auf die Konflikte der „technizistischen grünen Wende“ mit dem Naturschutz – er spricht von einem „Biodiversitätsdesaster“ und warnt vor einer „industriellen Besitznahme von Naturräumen“ durch die sogenannte Energiewende (S. 31). Erneuerbare Energien mit „Nullemissionen“ gleichzusetzen, sei irreführend. Schon ein 3,5 MW-Windrad brauche 150 Tonnen Stahl und einen Stahlbetonsockel von 2.000 Tonnen sowie seltene Erden für den Generator. Die Anlagen kämen an „physikalische und meteorologische Grenzen“ (S. 28) – Stichwort Ökorucksack und Windverfügbarkeit. Eine Studie des Bundesamts für Naturschutz zeige, dass „Flächen mit geringem Konfliktpotenzial mit dem Naturschutz praktisch nicht vorhanden“ seien (S. 41). Kritik übt der Autor auch am E-Auto-Boom. Bei der Herstellung der geplanten 15 Millionen E-Autos für Deutschland bis 2030 fielen 300 Mio. Tonnen CO2 an, das passe nicht zusammen mit dem laut Klimaschutzgesetz angepeilten 438 Mio. Tonnen CO2 Jahresemissionen im Jahr 2030 (vgl. S. 45).

Erneuerbare Energie ideologisch zu „Freiheitsenergie“ zu stilisieren, entspräche einem „Tunnelblick“ und „monolinearem Denken“ (S. 48), so Tocha, der den Glauben an grünes Wachstum, etwa des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck, heftig kritisiert. Auch die „Überhöhung des Digitalen“, mit einem Seitenhieb auf Richard David Prechts Automatisierungsutopie, in der Erwerbsarbeit und Sozialstaat gleichermaßen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden würden, der Beschleunigungswahn im Neokapitalismus sowie der erneut entfachte Rüstungswettlauf werden im Buch problematisiert.

Was sind nun die Alternativen?

Grundsätzlich hält Tocha fest: „Die Umweltbewegung ist dann stark, wenn in ihrem Engagement nicht die Gegensätze, sondern das Verbindende im Vordergrund steht, wenn Klima-, Natur- und Artenschutz sowie Wachstums- und Beschleunigungskritik in eins fallen und das Engagement vor Ort sich mit dem globalen Thema des bedrohten Planeten verbindet“ (S. 54). Das ist in der Tat sinnvoll, löst aber noch nicht alle Probleme. Mit der Akkumulations- und Wachstumstheorie von Karl Marx und der Imperialismus- und Expansionstheorie von Rosa Luxemburg (z. B. Wasserstoff aus Afrika, der die raren Wasserreserven vor Ort verschlingt) kommt Tocha auf den Kapitalismus zu sprechen. Dieser sei zu überwinden, Alternativökonomieansätze in Nischen wären aber zu wenig. Tocha skizziert abschließend vier Zukunftswege – er spricht von „Essentials“: 1) eine ökologische Bedarfswirtschaft, die sich auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse beschränkt, mit Schwerpunkten auf ökologischer Landwirtschaft, öffentlichen Gütern wie Gesundheitsversorgung sowie einem Grundbedarf an Energie; 2) Aufbau kleiner, demokratischer Staaten mit partizipativen, staatlich abgesicherten Regionalökonomien – hier bezieht sich der Autor auf Leopold Kohr ebenso wie auf den Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck; 3) industrielle Abrüstung einschließlich der militärischen und Einübung einer „Kunst der Reduktion“ (S. 169) sowie einer naturbasierten Klimapolitik; 4) schließlich Durchsetzung eines neuen Fortschrittsbegriffs, der nicht technizistisch, sondern sozial und gesellschaftlich „buchstabiert“ werde (S. 84).

So weit so gut. Aber wie dort hinkommen? Manches erinnert an Ulrike Herrmanns Plädoyer für eine moderne Rationierungswirtschaft, die Umsetzung bleibt aber vage. Der Autor ist Sozialphilosoph, nicht Politologe, Ökonom oder Transformationsforscher – das merkt man! Dennoch bleibt es das Verdienst des Buches, dass es auf die Grenzen und Fallen des „grünen Wachstums“ hinweist.