Ronja von Wurmb-Seibel

Wie wir die Welt sehen

Ausgabe: 2022 | 4
Wie wir die Welt sehen

Nachrichten in den Medien folgen oft den klassischen Nachrichtenfaktoren (in der Nähe passiert, konfliktreich, Prominente involviert, usw.), bieten Held:innengeschichten an und bevorzugen kurzfristige Ereignisse gegenüber langfristigen Prozessen. Sie zeigen immer nur ausgewählte Ausschnitte der Realität. „Obwohl die einzelnen Nachrichten jeweils stimmen, entsteht in der Summe ein vollkommen verzerrtes Bild“ (S.34). Weil meistens davon erzählt wird, was alles schiefgelaufen ist (Unfälle, Katastrophen, Terroranschläge, u. ä.), bleiben wir oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der Geschehnisse in der Welt zurück.

Diese „erlernte Hilflosigkeit“ zu verlernen, dieser „Negativ-Schleife“ zu entkommen, darum geht es der deutschen Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem zweiten Buch. Nachrichten sollen sich nicht mit der Beschreibung eines Missstands, eines Problems, einer Katastrophe begnügen, sondern sollen darüber hinaus (die Autorin spricht von der Zauberformel „Scheiße plus X“) den Blick auch auf die Zukunft richten. Allgemeiner gesprochen soll ein derart „konstruktiver Journalismus“ nicht nur über Vergangenes und Gegenwärtiges berichten, sondern auch davon erzählen, wie ein dargestelltes Problem in Zukunft bearbeitet werden könnte. Als ehemalige Afghanistan-Journalistin ging es ihr deshalb in jener Zeit vor allem darum, positive Bemühungen um Frieden und Aussöhnung aufzuzeigen.

Die „Suche nach dem X“ nimmt viel Raum im Buch ein und die Autorin beschreibt einige interessante Ansatzpunkte. Dabei geht es ihr nicht darum, den Blick auf Negatives zu verstellen, sondern von unserer Fokussierung darauf wegzukommen und unsere Aufmerksamkeit für Positives zu trainieren. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten, selbst Einfluss auf die Zukunft zu nehmen, und damit der angesprochenen Hilflosigkeit zu entkommen. Das Gesagte möchte die Autorin nicht nur auf die Medien angewandt sehen, sondern auch auf uns selbst, wenn wir anderen oder auch uns selbst Geschichten erzählen.

Trotz einiger Wiederholungen ist das Buch eine interessante Lektüre, nicht zuletzt auch wegen der „Experimente für den Alltag“ am Ende eines jeden Kapitels. Hier werden einfache Übungen beschrieben, mit denen jede:r von uns den eigenen Medienkonsum hinterfragen und vielleicht auch neugestalten kann.