Kai-Fu Lee, Qiufan Chen

KI 2041

Ausgabe: 2022 | 4
KI 2041

Bücher über die mögliche Zukunft von neuen Technologien stehen vor der Herausforderung, die technischen Details und die gesellschaftlichen Folgen ausgewogen zu präsentieren. Dieser Herausforderung nimmt sich auch das Buch KI 2041 an. Mit einer gelungenen Verknüpfung aus „Science und Fiction“ schaffen die beiden Autoren Kai-Fu Lee und Qiufan Chen eine Brücke zwischen den Welten und kombinieren den gegenwärtigen Stand der Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI) mit fiktiven Alltagsszenarien einer möglichen Zukunft.

Zehn Anwendungsfelder von KI im Fokus

Das Buch gibt Einblicke in zehn unterschiedliche Anwendungsfelder von KI. Dankenswerterweise handelt es sich hier nicht um die sonst typischen Tropen der Science-Fiction (SF), wie zum Beispiel die dystopische Vorstellung von autonomen Maschinen, die die Kontrolle über die Menschheit übernehmen. Stattdessen orientiert sich das Buch an den tatsächlichen Schwierigkeiten, verweist auf die gegenwärtigen Möglichkeiten der Technologie und knüpft an aktuellen Diskursen aus dem Feld der KI-Ethik an. So werden Themen behandelt wie die Verwendung von Deep-Fake-Videos zur politischen Agitation, neuro-linguistische Programmierung als Basis für computergestütztes Lernen in Schulen, selbstfahrende Autos und vieles mehr.

Jedem dieser zehn hochkomplexen Themen widmet das Buch ein eigenes Kapitel, das jeweils in zwei Teile gegliedert ist: Für die Einführung in das Thema steuert der renommierte chinesische Science-Fiction Autor Qiufan Chen (bekannt für seinen Roman Die Siliziuminsel (2019)) eine Kurzgeschichte bei; hier stellt er die Anwendung in den Kontext eines Alltagsszenarios. Auf jede Kurzgeschichte folgt ein Analysekapitel des taiwanesischen Computerwissenschaftlers und Unternehmers Kai-Fu Lee. Dieser forscht seit fast vierzig Jahren zu KI und hat sich als Experte in dem Feld ausgezeichnet (siehe auch AI-Superpowers (2019)). Das Analysekapitel legt die realweltliche Forschung gegen die fiktive Erzählung und so verwundert es nicht, dass man sich an der ein oder andere Stelle fragt, ob das gerade Gelesene noch Fiktion ist oder bereits Realität.

Um ein Beispiel zu nennen: Das erste Kapitel behandelt die automatische Analyse von Verhaltensdaten und deren Bewertung mit Hilfe von selbstlernenden Algorithmen. Die Geschichte, die in das Thema einführt, handelt von einem jungen, indischen Paar; Sie kommt aus einer gehobenen Kaste, während er einer der unteren Schichten angehört. In der Welt, in der sie leben, erstellen Computerprogramme Nutzerprofile auf Basis von Informationen, die von den User:innen über verschiedene Kanäle und Apps zu Verfügung gestellt werden. Diese Daten werden von der KI bewertet, um eine scheinbar neutrale Beurteilung der Kosten und Leistungen von Versicherungen zu ermitteln. Je nachdem in welchen Vierteln man sich bewegt oder mit welchen Menschen man verkehrt, geht der berechnete Wert hoch oder runter und verändert den Versicherungsbeitrag. Als Folge davon kann das Paar zwar zusammen sein, doch jedes Mal, wenn sie sich mit ihm trifft, geht ihr Score nach oben, wodurch sie einen höheren Versicherungspreis zahlen muss.

In der Geschichte von Qiufan Chen zeigt sich die Stärke der SF in der Betrachtung von neuen Technologien. Das „Was wäre, wenn…“ wird zum ethischen Reflexionsimpuls für die Folgen emergierender Technologien und stellt die Technologie, ebenso wie die Entwickler:innen selbst im Kontext ihrer Gesellschaft. In dem anschließenden Analysekapitel erfahren wir dann die Hintergründe für dieses Gedankenexperiment. So folgt es, dass KI die unsichtbare Diskriminierung in der Gesellschaft identifiziert und quantifiziert und damit weiter institutionalisiert und festschreibt. In dem Kapitel heißt es: „Ingenieure müssen verstehen, dass sie ethische Werturteile in Produkte einbauen, die lebensverändernde Entscheidungen treffen, und sie müssen sich daher verpflichten, die Rechte der Benutzer zu schützen.“ Über solche Verweise zeigt das Buch nicht nur auf die Probleme der aktuellen Forschung, sondern stellt ebenso mögliche Lösungen vor, die als tatsächliche Leitbilder für die Entwicklung dienen können.

Science-Fiction als gewinnbringendes Gedankenexperiment

KI 2041 ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie SF als Gedankenexperiment dazu dienen kann, die Folgen von neuen Technologien zu verdeutlichen. Die beiden Autoren schaffen ein ideales Zusammenspiel aus Science-Fiction und Science-Fact und beleuchten, sehr plausibel und ohne verdrehte Metaphern von autonomen Robotern, die tatsächlichen Implikationen von KI, Big Data Analysen und den allgegenwärtigen Datenkraken, die über komplexe Clusteranalysen Muster erkennen und somit unser Leben, bereits heute, quantifizieren und kommodifizieren. Also allzu nahbar und realistisch und doch trotzdem nur Fiktion?!