Michio Kaku

Wettlauf um die Zukunft

Ausgabe: 2024 | 4
Wettlauf um die Zukunft

2019 und 2020 meldeten zwei Forschergruppen, eine in den USA, die andere in China, sie hätten „Quantenüberlegenheit […] erreicht, jenen sagenhaften Punkt, an dem ein radikal neuer Computertyp, der sogenannte Quantencomputer, einen gewöhnlichen digitalen Supercomputer bei bestimmten Aufgaben an Leistungsstärke deutlich übertrifft“ (S. 11). Diese beiden Ereignisse, deren Bedeutung Googles CEO Sundar Pichai mit dem nur 12 Sekunden dauernden ersten Motorflug der Gebrüder Wright im Jahre 1903 vergleicht, nimmt Michio Kaku, Professor für theoretische Physik an der City University of New York und zugleich einer der bekanntesten Physiker der Welt, zum Ausgangspunkt für seine Publikation.

Teil I („Aufstieg der Quantencomputer“) beschreibt das laut dem Autor bevorstehende Ende der heutigen auf Silizium basierten Computertechnologie. Diese soll in absehbarer Zeit durch den um Größenordnungen schnelleren Quantencomputer abgelöst werden. Zum besseren Verständnis seiner Ausführungen bietet der Autor in den einführenden Kapiteln eine spannende Geschichte der Rechenmaschinen und Computer, vom geheimnisvollen altgriechischen Antikythera-Mechanismus über die Turingmaschinen bis zu den innerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen um die aufkommende Quantentheorie zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

In den folgenden drei Teilen des Buches wird beschrieben, wo überall Quantencomputer in den nächsten Jahrzehnten zu fundamentalen Umbrüchen führen könnten. Im Gegensatz zum Anspruch des deutschen Untertitels („Wie der Quantencomputer die Probleme der Menschheit lösen wird“), ist der englische Untertitel vorsichtiger formuliert („How the Quantum Computer Revolution Will Change Everything“). Auch die einzelnen Kapitel nehmen – ausgehend von einer Beschreibung der jeweiligen Situation bzw. des Erkenntnisstands – nicht die Zukunft vorweg, sondern beschreiben mögliche gewünschte Entwicklungen.

In Teil II geht es um mögliche Durchbrüche, die sich durch den Einsatz von Quantencomputern in vielfältigen Bereichen der Gesellschaft ergeben könnten. So könnte es z. B. gelingen, die Entstehung des Lebens („wohl eines der größten Rätsel aller Zeiten“, S. 127) zu klären oder die Fotosynthese besser zu verstehen, um dann eventuell so etwas wie ein „künstliches Blatt“ zu entwickeln, was eine ganz neue Perspektive bezüglich CO2-Bindung eröffnen würde. Auch bezüglich der Entwicklung von neuartigen Pflanzendüngern (Ziel: „Genug Nahrung für alle“, so der Titel des Kapitels 8) oder der Weiterentwicklung von Batterien („Das schwächste Glied in der Kette der erneuerbaren Energien ist die Speicherung, S. 170) könnten Quantencomputer gewaltige Fortschritte bringen.

Teil III beschreibt unter dem Titel „Quantenmedizin“ viele wünschenswerte wissenschaftliche Durchbrüche im Bereich der Gesundheit. So könnten Quantencomputer dazu beitragen, neue Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln, für Frühwarnsysteme bei Pandemien eingesetzt werden (Kapitel 10) oder auch helfen, die Früherkennung und die Behandlung von Krebs voranzutreiben. In diesem Zusammenhang könnte die Verbindung von Quantencomputern mit Künstlicher Intelligenz helfen, die Probleme der Faltung von Proteinen (dieser „Arbeitstiere der Biologie“, S. 229) oder des Plastiks in den Weltmeeren in den Griff zu bekommen. Selbst bei der „ältesten Suche aller Suchen“ (S. 247), der Suche nach Unsterblichkeit, verspricht der Autor sich und seinen Leser:innen fundamentale Fortschritte durch den Einsatz von Quantencomputern (Kapitel 13).

In Teil IV („Die Welt und das Universum“) behandelt der Autor den Einsatz von Quantencomputern im Zusammenhang mit den ganz großen Fragen, wie z. B. dem Klimawandel, den technologischen Herausforderungen der Kernfusion („Quantencomputer könnten also der Schlüssel zu einer umweltfreundlichen, billigen und zuverlässigen Energiezukunft sein“, S. 308) oder auch den letzten Fragen zum Aufbau des Universums, zu deren Erhellung der Autor, der als einer der Väter der sogenannten String-Theorie gilt, seit vielen Jahrzehnten Beiträge liefert.

Den Abschluss des Buches bildet ein etwas flach geratenes Kapitel 17 („Ein Tag im Jahr 2050“) sowie ein Epilog mit vier zwischen Physik und Philosophie angesiedelten „Quantenrätseln“, die einen noch lange nachdenkend zurücklassen können.

Ein bestechendes Buch

Die Publikation geizt zwar mit Quellenangaben, aber der Ruf des Autors und u. a. seine Berufung auf Gespräche und Interviews mit 16 Nobelpreisträgern (S. 365) verleihen dem Ganzen doch eine solide Glaubwürdigkeitsbasis. Außerdem besticht das Buch – abgesehen von ein paar Quantentheorie-Hardcore-Seiten – durch seine extrem gute Lesbarkeit, welche die Lektüre wirklich zu einem Genuss macht. Ob allerdings die angesagte Quantencomputer-Revolution so bald und in diesem Ausmaß stattfinden wird, wird erst die Zukunft zeigen.