Es brauche die historische Kontextualisierung, um die schrittweise Entfremdung zwischen der Ukraine und Russland, sowie zwischen dem globalen Westen und Russland zu verstehen. So beginnt der Innsbrucker Professor für Politikwissenschaften Gerhard Mangott sein Buch über „Russland, Ukraine und die Zukunft“.
Vorgeschichte und Narrativ der Rechtfertigung
Die Europäische Union hatte 2009 die „Östlichen Partnerschaften“ beschlossen, um Staaten im Westen und Süden Russlands näher an die EU heranzuführen. Das stand in Konkurrenz zu einem eigenen Integrationsprojekts Russlands. 2010 hatte man dort eine Zollunion zwischen sich, Belarus und Kasachstan gegründet und 2012 die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft geschaffen. Diese Konkurrenzsituation zwischen diesen Projekten hatte in der Ukraine zu einer Eskalation geführt, als die geplante Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU durch den damaligen Präsidenten Viktor Janukovič abgesagt wurde. Die folgenden Auseinandersetzungen eskalierten, als Russland militärisch eingriff, die Krim besetzte und sich Teile des Ostens der Ukraine unter russischem Einfluss von Kiew lossagten. Auf Deeskalation setzend wurde eine Waffenruhe vermittelt, diese hielt jedoch nie. 2021 wurde bei einem NATO-Gipfel die Möglichkeit der Mitgliedschaft der Ukraine in dem Militärpakt bekräftigt. Am 24. Februar 20222 begann der russische Überfall auf die Ukraine.
Neben der Zusammenfassung der Vorgeschichte widmet sich Mangott den Rechtfertigungen für das Eingreifen Russlands. Die Ukraine hätte zu einem Anti-Russland aufgebaut werden sollen und in den Regionen Donezk und Luhansk drohte ein Völkermord. Die tatsächlichen Motive für den russischen Überfall waren allerdings andere, so Mangott. Der wichtigste Kriegsgrund sei der tiefe Revanchismus von Vladimir Putin und von Teilen seines innersten Führungszirkels gewesen. Das historische Russland sollte demnach wiedererrichtet werden (S. 47f.). Mangott blickt auf die Sanktionen, mit denen der Westen reagierte: „Die Bestrafungsabsicht der EU-Sanktionen wurde […] teilweise realisiert, aber nicht in dem Ausmaß, wie es anfangs erwartet und von vielen erhofft worden war. Die russische Volkswirtschaft ist nicht kollabiert“ (S. 95).
Spannend ist der Teil des Buches, wo sich Mangott der Frage widmet, wie der Krieg zu einem Ende kommen könnte. Es gebe drei Optionen. Die erste Option sei die Intervention einer dritten Partei in den Krieg. Diese Kraft zwingt die Kriegsparteien zu einem Kompromiss oder stellt sich auf eine der Seiten. Das sei aber völlig unrealistisch. Die westlichen Staaten sind an der direkten Teilnahme an dem Krieg als Kriegspartei nicht interessiert, genauso wenig wie die NATO. Die zweite denkbare Option sei der militärische Sieg einer der beiden Kriegsparteien. Auch dies zeichne sich in keiner Weise ab. Drittens würden Kriege durch militärische Erschöpfung beendet. Sollten weder die Ukraine noch Russland einen militärischen Sieg auf dem Schlachtfeld mehr erwarten, könnten beide geneigt sein, zu versuchen, einen Verhandlungskompromiss oder zumindest eine Waffenruhe zu erreichen. Ein Einfrieren des Konfliktes an der derzeitigen Frontlinie wird von manchen Beobachtern als erster Schritt für ein Kriegsende gesehen. Mangott warnt, dass auch diese Option massive Probleme bringe. Beide Seiten könnten die Ruhepause für Aufrüstung nutzen (vgl. S. 112f.).
Der Krieg habe die politische und diplomatische Isolation Russland gebracht. Das führt auch dazu, dass Russland sich in immer stärkere Abhängigkeit von China begeben muss. Das widerspreche Putins Ziel der Souveränität Russlands, so Mangott (vgl. S. 118). Außerdem sei das russische Militär in dem Krieg entzaubert worden, seine Kräfte werden nun anders eingeschätzt als vor Kriegsbeginn. Innenpolitisch führte der Krieg zu noch autoritärerem Regieren.
USA als geopolitischer Gewinner
Für Mangott sind die USA der zentrale geopolitische Gewinner des Krieges. Ein Ziel der USA war unter anderem eine langfristige militärische, wirtschaftliche und technologische Schwächung Russlands. Diese Schwächung reiche, einen Eingriff in die innere Herrschaftsordnung Russlands streben die USA nicht an. Auch die Norderweiterung der NATO um Finnland und Schweden sei ein Effekt zugunsten des Westens. Und dieser globale Westen trete in den Jahren des Krieges geschlossener auf als zuletzt.