Gerald Knaus

Welche Grenzen brauchen wir?

Ausgabe: 2021 | 2
Welche Grenzen brauchen wir?

Gerald Knaus liefert ein Buch für „Europäerinnen und Europäer, die sich ein Grenzregime wünschen, das Kontrolle mit Menschlichkeit verbindet und dabei den Kern der Genfer Flüchtlingskonvention verteidigt: Das Gebot der Nichtzurückweisung von Schutzsuchenden.“ (S. 9) Der Migrationsexperte und internationale Berater von Regierungen plädiert für eine humane Grenzpolitik. Für eine Politik, die sehr wohl Grenzziehungen anerkennt und durchsetzt, dabei aber nicht in eine Panik der territorialen Abschottung verfällt. Anhand von Beispielen vergangener Migrationsbewegungen zeigt Knaus, dass es durch staatenübergreifende Kooperationen, ausbalancierte Rücknahmeabkommen sowie umfassende Integrations- und Aufnahmemaßnahmen möglich war und ist, Migration mit einem durchdachten System so zu managen, dass illegale Grenzübertritte auf ein Minimum reduziert, menschenwürdige Asylverfahren aber nichtsdestotrotz durchgesetzt werden.

Mythen, Abschreckung, Seenotrettung

Knaus berichtet bei diesen geschichtlichen Rückblicken etwa von Zeiten, in welchen Menschenwürde trotz großer Fluchtbewegungen an den Grenzen Kanadas oder Australiens gewahrt werden konnte. Gleichzeitig rückt er Mythen und irreführende Argumente rund um Migration durch faktenbasierte Ausführungen ins rechte Licht, widerlegt außerdem fragwürdige Lösungen und Denkmuster. Immer sachlich bleibend schafft es Knaus, jenseits jeglicher Sozialromantik, menschenwürdige Lösungen bis hin zu einem Ende der illegalen Migration anzubieten. Dabei weist er nicht nur die Strategie der Abschreckung als horrend und wirkungslos zurück, sondern revidiert auch die unbedingte Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Verteilungspolitik sowie die wachsende Kritik am Dublin-Verfahren.

Zur Nicht-Existenz staatlicher Seenotrettung heißt es übrigens: „Man muss Menschen in Seenot retten und gleichzeitig darauf hinarbeiten, dass nie wieder Zehntausende in seeuntüchtige, überfüllte Schlauchboote steigen.“ (S. 254) Resettlement sieht Knaus dabei als einen Teil der Lösung, also weitreichende, dauerhafte Neuansiedlungen auf globaler Ebene. Mit Zahlen untermauert beschreibt der Autor weltweite, gegenläufige Trends der Aufnahmebereitschaft von Staaten: Australien etwa, einst für seine offene Migrationspolitik unter Malcom Fraser bekannt, setzt ebenso wie die USA enorme Rückgänge der Neuansiedelungen durch. Während „europäische Staaten für mehr als die Hälfte aller neu angesiedelten Schutzbedürftigen in der Welt verantwortlich“ (S. 138f.) sind, leben die meisten Schutzsuchenden eben nicht in Europa. Ohne Aussicht auf einen legalen Zuzug über Visa-Abkommen, bleibt diesen Menschen für eine Flucht aus verschiedentlich prekären Lebensverhältnissen nur der illegale, gefährliche Weg.

Menschenwürdige Lösungen klar im Rahmen der Möglichkeiten

Gerald Knaus gelingt es, trotz einer zermürbenden Faktenlage, Hoffnung auf einen Wandel hin zu menschenwürdigen Asylverfahren zu machen. Die Effektivität und Umsetzbarkeit seiner Vorschläge sieht sich durch eine Historie bestätigt, in der beispielsweise Visaliberalisierung, schnelle und fairen Rückführungen sowie effiziente Hilfeleistungen vor Ort positive Auswirkungen zeigten. Was nach der empfehlenswerten Lektüre von Welche Grenzen brauchen wir? bleibt, ist eine merkwürdige Kombination aus frustrierter Lähmung und angestachelter Motivation: Wir verfügen über Ideen, über ausgearbeitete Pläne, über erprobtes Wissen – allein die Umsetzung fehlt.