Gerald Knaus

Wir und die Flüchtlinge

Ausgabe: 2023 | 4
Wir und die Flüchtlinge

„Historiker könnten das Jahr 2021 als den Moment beschreiben, an dem sich Europas Demokratien von der Genfer Flüchtlingskonvention abwandten: Das internationale System des Flüchtlingsschutzes in Europa brach 70 Jahre, nachdem es in Genf entstanden war, in sich zusammen, ohne dass der europäischen Öffentlichkeit die Tragweite bewusst wurde“ (S. 9). In „Wir und die Flüchtlinge“ hält sich Gerald Knaus nicht mit Kritik an der sich verändernden und verhärtenden Flüchtlingspolitik der EU sowie der jeweiligen Ländern zurück. Als Zäsur führt Knaus die Entwicklung 2021 an der Grenze der EU zu Belarus an. Flüchtlinge wurden seitens der belarussischen Regierung zu machtstrategischen Zwecken instrumentalisiert, um die eigene Position der EU gegenüber zu erhöhen. Konkret wurden Menschen primär aus dem Irak eingeladen, nach Minsk zu kommen, um von dort aus sicher in die EU zu gelangen. Als Reaktion darauf riefen Polen, Lettland und Estland „an ihren Grenzen zu Belarus einen Notstand aus. Sie beschrieben Migration als einen hybriden Angriff“ (S. 52), änderten ähnlich wie Ungarn ihre Gesetze und legalisierten so auch Pushbacks. Dieses Vorgehen wurde von keiner der Regierungen verheimlicht, dennoch zeigte die EU keinerlei Reaktionen darauf. „Tatsächlich folgt die EU-Politik an ihren Grenzen heute der Logik eines Kampfes gegen Migration als hybriden Angriff“ (S. 61). Um zu zeigen, wie irreguläre Migration reduziert werden kann und zugleich die Menschenrechte von asylsuchenden sowie migrierenden Menschen geschützt werden, verweist Knaus auf drei Maßnahmen aus dem deutschen Koalitionsvertrag der Ampelregierung: Zügige Asylverfahren; Konsequente Abschiebungen Ausreisepflichtiger; Vereinbarung zur Reduzierung irregulärer Migration (vgl. S. 104). Wie eine konsequente und vor allem europaweite Umsetzung dieser Punkte aussehen könnte, skizziert der Migrationsexperte am Beispiel Griechenlands. Während zügige Verfahren im ersten Schritt zum Ziel haben sollten, ab einem bestimmten Stichtag alle Anträge zu bearbeiten, braucht es für Punkt zwei Kooperationen mit den Herkunftsländern, welche sich für diese auch nachhaltig lohnen. Hierzu zählt neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit insbesondere der Ausbau und verbesserte Zugang zu legalen Migrationsrouten, was bereits in der Zieldefinition der dritten Maßnahme verankert ist. Ergänzend betont Knaus nochmals die Rolle der einzelnen Mitgliedsstaaten, welche in der Migrationsfrage weit mehr Kompetenzen haben als europäische Institutionen.