Welche Gesundheit wollen wir?

Ausgabe: 1996 | 1

Über die Gentechnologie - das zentrale Thema dieses Bandes - kursieren Gerüchte; Vorurteile und Ängste beherrschen die Diskussion, über keinen anderen medizintechnologischen Zweig wird so viel publiziert, und in keinem anderen gehen die Meinungen über Chancen und Risiken so weit auseinander. Der Aufgabe, in dieser Situation fundiertes Grundwissen über Perspektiven der Humangenetik anzubieten, kommt dieser Band nach, indem u. a. die neuen Anforderungen an den Arzt und den Patienten durchleuchtet und zugleich Einblick in die diagnostischen Möglichkeiten des Fachs gegeben werden. "Auf der Basis besserer Kenntnisse wird es möglich, Ängste da abzubauen, wo sie unnötig sind, und die Diskussion nicht um Probleme kreisen zu lassen, die in den Bereich der Science Fiction gehören", meint Walther Vogel in seinem Beitrag über die Notwendigkeit einer genetischen Beratung. Da genetisch bedingte Krankheiten bereits im Pränatalstadium zu erkennen sind, resultiert daraus für Betroffene (oftmals zu) große Verantwortung, denn eine Entscheidung über Leben und Tod treffen zu müssen überfordert die Ratsuchenden vielfach. Hier muß die ganzheitlich orientierte Beratung ansetzen. Sie soll, so Vogel, nicht nur Sachinformation vermitteln, sondern vor allem psychologische Betreuung im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe sein. Christine Scholz beschäftigt sich in ihrem zentralen Beitrag unter dem Titel" Biographie und molekulargenetische Diagnostik" mit der Tatsache, daß in unserer Gesellschaft Krankheit, (vermeintliche) Behinderung und Ausgrenzung einander bedingen. Mit dem Wissen um eine künftige körperliche oder geistige Belastung steigt mit der Angst vor sozialen und wirtschaftlichen Nachteilen auch die seelische Belastung. Dies hat z. T. massive Auswirkungen auf die Lebensplanung, zumal sich Versicherungen, Arbeitgeber und öffentliche Institutionen immer ausgereifterer Diagnoseverfahren bedienen. In letzter Konsequenz hätte dann nur der "gesunde" Mensch eine Chance auf gesicherte Existenz. Auch die anderen Beiträge beschäftigen sich mit dem Spannungsverhältnis Individuum - Gesellschaft, benennen aber eher Problemfelder, als daß Lösungen geboten werden. Beim Versuch, die Perspektiven der Humangenetik in den rechten Blick zu rücken, werden insbesondere Entscheidungskonflikte Betroffener - von Patienten bis hin zur Rechtsprechung - thematisiert. Zusammengenommen, ein wichtiger Diskussionsbeitrag zu einem zunehmend bedeutsamen Thema, wenngleich die im Titel aufgenommene Frage nur bedingt abgehandelt wird. M. G.

 

Welche Gesundheit wollen wir? Hrsg. v. Elisabeth Beck-Gernsheim. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1995. 731 S. (es; 1956)