Gentechnik in der Praxis

Ausgabe: 2001 | 4

Das Verhältnis der Gentechnik zu deren Steuerung und Kontrolle in Entwicklung und Vollzug der rechtsstaatlichen Gesetzgebung der BRD ist Gegenstand dieser ambitionierten und – es sei vorweggenommen – erkenntnisreichen Arbeit, die der Verfasser zuerst als Dissertation an der Universität Augsburg vorgelegt hat.


Der Autor führt mit einer Diskussion des Rechts als Instrument staatlicher Steuerung und der Grundlagen der zur Diskussion stehenden Materie in sein Thema ein. Gentechnik ist demnach „grundsätzlich unauffällig“, in der BRD zurzeit überwiegend in geschlossenen Systemen forschungsorientiert (ca. 95 %) und nur in geringem Ma-ße in praktischer Anwendung erprobt. Zugleich stellt der Verfasser einen etwa Mitte der 80er Jahre vollzogenen Paradigmenwechsel fest, der die „scientific community“ auch in Anbetracht einer „theoretisch gewaltigen Scha-densmacht“ der Gentechnik (S. 49) von einer grundsätzlich vorsichtigen Haltung hin zu der Auffassung gelangen ließ, „dass die Gentechnik grundsätzlich ungefährlich ist“ (S. 61). Von Seiten der Bundesregierung wurde (im Vertrauen auf freiwillige Selbstverpflichtung) von der ursprünglichen Verneinung eines Regulierungsbedarfs abgegangen und: Die Empfehlungen der Enquete–Kommission des Deutschen Bundestages „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ (vorgelegt am 6.1.1987) sowie das 26.6.1990 verkündete „Gentechnikgesetz“ (GenTG) können als Meilensteine der Reaktion von staatlicher Seite angesehen werden.


Ausführlich kommt Schröder im folgenden auf Grundzüge des GenTG (Pflichten zur Risikobewertung, Durchführung von Sicherheitsvorkehrungen, Bestellung von Beauftragten für die Biologische Sicherheit [u.a.m.]) zu sprechen, um sich in der Folge dem Vollzug „auf rechtsstaatlichem Boden“ zuzuwenden.Mit Rekurs auf die Theorie autopoietischer sozialer Systeme (nach N. Luhmann und G. Teubner), die u. a. durch „Opperative Geschlossenheit“, Sonderkommunikationen“ und Autonomie gekennzeichnet sind, findet sich dieser theoretische Ansatz auch in der Praxis bestätigt. Zwar relativiert der Autor das „Unmöglichkeitstheorem des Technikdeterminismus“ (vgl. S. 173ff.), indem er davon ausgeht, dass es in der Technikgenese sehr wohl politisch gestaltbare Handlungsräume gibt. Demnach wird keineswegs alles, was technisch machbar ist, auch umgesetzt. So werden nur rund 70 % aller Patente auch wirtschaftlich genutzt. Im Hinblick auf die Kontrolle der Gentechnik durch rechtsstaatliche Instanzen sieht die Bilanz freilich anders aus: Trotz – aber doch keineswegs nur auf Grund eines stets „nachhinkenden Regulierungs-dilemmas des Rechts“ kommt der Verfasser nach eingehender Prüfung zur Bestärkung eines bereits aus dem Jahr 1992 stammenden Befundes, „wonach gentechnische Vorhaben in der Bundesrepublik Deutschland prak-tisch unangefochten realisiert werden können“ (S. 199).


Die Interessen von Wissenschaft und Politik, so der Autor, erscheinen dabei zumindest „durchwachsen“, und in der Conclusio alles andere als ermutigend: „In der Tat“, so Schröder, „gibt es Hinweise für die Existenz eines Politiknetzwerkes, das den Staat bei der Formulierung des Gentechnikrechts beeinflusst und behindert hat...“ (S. 222). Die nachweislich bestehende „Normenhypertro-phie“ (S. 232) freilich lässt der Autor nicht als Entschul-digung für die herrschende Rechtspraxis gelten, zumal er [nur in Bayern?, W. Sp.] „keinen einzigen Fall entdecken konnte, in dem eine Genehmigung versagt oder ein gen-technisches Vorhaben untersagt worden wäre, weil die Voraussetzungen des § 13 GenTG nicht erfüllt waren (S. 242). In Anbetracht dieses Befundes ist es mehr als fraglich, ob die von Schröder abschließenden unterbereiteten Vorschläge zur Novellierung des Gentechnikgesetzes die ihnen gebührende Aufmerksamkeit finden werden. Dem Verfasser jedoch ist für eine detaillierte, allgemein verständliche und vor allem couragierte Darstellung eines wichtigen Themas zu danken. W. Sp.

Schröder Martin: Gentechnik in der Praxis. Eine empirische Studie zu den Grenzen der Normierbarkeit. Baden-Baden: Nomos-Verl., 2001. 284 S., € 44,– / DM 88,– / sFr 80,- / öS 619,–